über die Rede von Michel Houellebecq zur Verleihung des Schirrmacher-Preises

Essay

08-11-2016
 

Es gibt ein Denken, Sprechen und Schreiben, das vorgibt, Schmutz, Verkommenheit und gar Abgründe durch seinerseits schmutziges Denken, verkommenes Sprechen und abgründiges Schreiben zu entlarven und zu denunzieren. Soweit ich sehen kann, halten sich viele Kulturen eins, zwei Vertreter pro Generation, wenn auch zumeist unter prekären Bedingungen, sozusagen zum Zwecke der Katharsis.

Michel Houellebecq – Abb. CC – wikimedia.org

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Wahrscheinlicher aber ist diese Art verschnittener Kultur, die von der gleichsam vorauseilend-sensationsgeilen Fürsprache eines übersättigten Feuilletons lebt, lediglich das Ergebnis einer Fehlinterpretation, etwa, wenn es sich um den Selbstversuch einer Teufelsaustreibung handelt, oder um eine Art masturbierender Provokation. 

In diesem Sinne halte ich Michel Houellebecqs (im Weiteren: H.) "Aufklärungsarbeit" seit den Elementarteilchen überwiegend für Auswurf. Ich vermute, dass H. spricht wie er spricht und denkt wie er denkt, weil er hässlich ist; weil, angsichts der abfälligen, wenn nicht vernichtenden Ignoranz, mit der die Mehrheit auf Hässlichkeit reagiert (und ich sollte "wir" sagen), weil das mitunter ekelstiftende Sputum, das er auf die Gesellschaft schleudert, der einzige Weg für ihn ist, Aufmerksamkeit zu erlangen. H. ist mit seiner Erscheinung gestraft, und ich kann kaum erahnen, wie er darunter gelitten hat. Es ist Selbsthass, der sich in seinen Worten, seinem Denken Bahn bricht und denen ein faschistoider Kammerton immanent ist. Dies vorweggeschickt. 

Nun hat die Gesellschaft einmal rücksichtslos zurückgeschlagen und ihm den Frank-Schirrmacher-Preis verliehen. Das ist ja von Haus aus ein ganz ein mieser Satz, aber in diesem Fall galt: Tue nicht Gutes, dann geschieht Dir nicht Schlechtes; denn so eine Zumutung lässt so ein Mensch nicht lange auf sich sitzen. Seine Dankesrede ist bemüht, einen möglichst flächendeckenden Schaden zu hinterlassen; und der kollektive Schluckauf im Publikum und in den Feuilletons plus die eineinhalb Druckseiten in der FAZ sind für derlei Brandreden schon ein ganz passables Resultat. So jedenfalls interpretiere ich Hin- und Rückspiel, das Rauschen in den Blättern, das nach dem Prinzip des groben Klotzes, auf den ein grober Keil gehört, allüberall herumraschelt. 

Olle Kamellen, die Sau ist durch’s Dorf. Das stimmt natürlich, insofern: und next. Meine Schuld, dass mir immer wieder Gedanken aufkommen, mit denen alle anderen schon fertig sind.

Ich war zunächst überrascht, wie samtfüssig die Rede daher kommt, beinahe argumentierend; Gottja, was für ein seltsamer Anfang, im Ganzen von sprunghafter Logik und auch abwegig in manchen Linien; mit den Herren Dantec und Muray weiss ich wenig anzufangen, und wahrscheinlich geht es dem deutschen Feuilleton mehrheitlich so, aber in Summe ist er dann doch verständlich! Mehr als verständlich: denn er habe sich, so wurde jetzt allenthalben bedauert, damit eines reaktionären Weltbildes schuldig gemacht, einer Auto-Disqualifikation. 

Nachdem der Rauch sich verzogen hat

Der Vortrag, meine ich, hat (wenig Höhen und) Tiefen, vielleicht aber Qualitäten einer Wasserscheide. Ich meine, es lohnt sich, den Suicidversuch des H. ein wenig genauer anzuschauen. Der Text steht hier (http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/rede-zum-schirrmacher-preis-houel…), aber der flüchtige Leser mag sich auch mit mit folgender Zusammenfassung begnügen:

  • Le Monde hasse ihn; und er, H., hasse Le Monde. (OK: 1:1). Die Linke (in Frankreich) stürbe, deswegen sei sie so bissig. Der Hass der Linken auf H. erscheine als oder aus der Geist der Political Correctness, oder in der Form des "neuen Progressivismus".
  • Dieser bezichtige die neuen Reaktionäre (und damit zu allererst H.) der Reaktion. Tatsächlich hätten diese "Reaktionäre" aber nichts miteinander zu tun, ausser dass sie von den "neuen Progressivisten" mit grosser Ent- und Geschlossenheit so genannt werden. Reaktionär sei/en: 
  1. Kommunisten, die die Marktordnung ablehnen;
  2. Wer gegen die nationale "Selbstauflösung" im europäischen Verbund ist;
  3. Wer sich dem Anglizismus verweigert;
  4. Wer der parlamentarischen Demokratie misstraut;
  5. Wer das Volk (stattdessen) öfter befragen will;
  6. Wer gegen Internet und Smartphones ist;
  7. Wer gegen den Mainstream ist.
  • H. habe (in "Unterwerfung") die Machtergreifung eines moderaten Islam vorhergesagt. Soweit sei es noch nicht, jedoch erkenne H. beispielsweise bereits heute eine gewisse "DrittMittelDebilität" französischer Universitäten, die sich gern von arabischen Potentaten finanzieren liessen. H. sieht darin ein Zeichen und auch den französischen Hang zur Collaboration am Werk.
  • H. benennt das Aufkommen eines gewalttätigen Islam seit dem Bosnienkrieg und sieht in einem spirituellen Christentum das einzige Mittel dagegen.
  • H. beschreibt die Gemetzel der französischen Revolution – verglichen mit denen des Islamischen Staates – als weit schlimmer. Dessen Gemetzel und Grausamkeiten werden aber, sagt H., aus Gründen der Übersättigung wieder verschwinden, wie nach der Revolution auch. Auch sei angesichts der Geburtenraten in der westlichen Welt der aggressive Islamismus schon auf mittlere Sicht gar nicht wirklich nötig.
  • H. zitiert Toqueville, der die Vereinzelung des Menschen als Ursache eines neuen Despotismus beschreibt (der - Brot & Spiele - nur keine politischen Einmischungen wünscht). H. sieht demnach "die Bürger" in einem Zustand der Infantilisierung gehalten.
  • H. mutmasst in dieser Zuweisung eine Abschaffung der väterlichen zugunsten der mütterlichen Macht und sieht darin den Ursprung einer Rückkehr des Matriarchats - als Staatsform; ja, er befürchtet in der Folge die Abschaffung der Männlichkeit selbst.
  • Das alles, so H., hätten seine Kollegen Dantec und Muray sauber vorhergesagt, nur dass in Frankreich jetzt auch noch die Prostitution abgeschafft werden soll, das hätten sie sich nicht vorstellen können. Die nämlich, so H. (und damit liefert er wieder so eine Stelle), sei das Fundament auf dem die Ehe beruhe und damit die Familie, und damit die Gesellschaft. Die Prostitution abschaffen zu wollen, sei gesellschaftlicher Selbstmord.
  • Übrigens beobachte er, grad neulich sei ihm das wieder eingefallen, einen Mangel an aufregend und sexy gekleideten Mädchen (wahrscheinlich meint er Frauen). 
  • Dantec und Muray jedenfalls seien freie Männer gewesen, die sich nicht um das Rauschen des Waldes geschert hätten. Und damit hätten sie auch alle anderen (Intellektuellen) befreit, nämlich aus den Klauen der Linken, denn die heiligen Kühe, Marx, Freud und bald auch Nietzsche, seien tot. Und das, obwohl sie alle drei, also Dantec, Muray und H. auch, keine grossen Denker seien, das sei ihr Vermächtnis und nun sollen andere diese Freiheit nutzen.

Hartge-Sottisen

So - cum grano salis - die Rede des H.. Es hat mich überrascht, und dann auch wieder nicht, dass H. sich als Linken sieht (oder sah?), einen aber, so verstehe ich ihn, der mittlerweile von "der Linken" der Reaktion bezichtigt wird. 

Wie an vielen anderen Stellen zeigt sich auch hier, wie untauglich die politische Geografie geworden ist: Links und rechts, das geht allenthalben munter durcheinander, was natürlich viel mit Vergangenheit zu tun hat: Vieles von dem, was heute konservative Regierungen veranstalten, Atomkraftwerke abschalten, Banken (und sei es vorüberhend) verstaatlichen, Flüchtlinge aufnehmen, entstammt linker Denk- und Forderungstradition.

Am auffälligsten erscheint mir, dass sich die vormaligen Ortungsbegriffe nahezu vollständig von ihrem (oder gar jedem) ursprünglichen Rational gelöst haben und zu hysterisch-sozialen Befindlichkeiten degeneriert sind. Diskurs tritt nur noch in Form der Bezichtigung auf, eine systematische Einbettung oder gar radikale Intentionalität ist nicht mehr erforderlich.

Und damit bin ich beim Houellebecq'schen Antagonismus von den „neuen Reaktionären“ und den (klingt das nur im Deutschen bekloppt?) „Progressivisten“ agelangt; das sind, wenn ich ihn recht verstehe, neben den Erzfeinden von Le Monde vor allem auch diejenigen, denen die political correctness (PC) Kopf und Zunge verdreht. 

PC und mehr noch die Debatte um Sinn und Unsinn der PC erscheint mir wesentlich: sie erhöht das Reden, auch und vor allem das beiläufige, zum Handeln. PC, befördert von der Debatte darum, legt einen nebligen, klebrigen Plastikschaum über die soziale Interaktion. Wie die stalinistische Terminologie, die eigene Interesse aus dem Deutungsraum eines menschenfreundlichen Kommunismus zu legitimieren behauptete, konstituiert sie auch heute Herrschaft durch Denunziation. PC ist ein Instrument nicht nur der sozialen Zurechtweisung: im Windschatten des Juste Milieu werden möglicherweise abweichende, möglicherweise vorwärtsweisende, möglicherweise realitätstauglichere und schließlich auch expansiv orientierte Denkungsarten vorsorglich Abseits-verdächtig gestellt. Das klingt nicht nur kompliziert, es ist auch ein komplizierter Vorgang!

Die PC ist ein rückwärtsgewandtes Reglement, gleichsam die propagandistische Verwaltung einer zurückliegenden Wende oder Revolution, die im Verlauf als eine „zum Besseren“ Anerkennung gefunden hat. Die PC übernimmt also den Kanon des „Besseren“ und regelt aus diesem Geist konservatorisch, was fürderhin insofern als legitim anerkannt sein soll. Jetzt definiert sich die PC im Widerstand gegen das aus Nachlässigkeit oder Gesinnungstäterschaft gesprochene Unwort (und das ist eine Untat!); es war, es behauptete sich jedenfalls als eine Geste der Aufklärung. 

"Du, der Du die Sinti und Roma Zigeuner nennst, merkst Du denn gar nicht, welch geistiger Orientierung Du damit das Wort redest?!" – oder ähnlich begann es; denn die PC erkannte rasch, dass der Teufel im Sprachgewand überall sein Unwesen treibt. Aus dieser Geste der Aufklärung ist inzwischen – durch inflationären Gebrauch und Verbrauch – eine Geste denunziativer Rückwärtsgewandheit geworden. Gepflegt und ins Feld geführt wird die PC heute von zumeist das Wohlmeinende im Munde führenden Menschen von der rechten Mitte der Gauss'schen Kurve, .... (einerseits) eher selten mit dem Ziel, das Gute zu erreichen, sondern lediglich, es sozial (und damit sich) zu behaupten. PC zielt nicht auf ein Handeln, auch wenn sie es vorgibt, sondern auf eine Einstellung, oder besser noch: auf die Geste des Widerspruchs zu einer gemutmaßt falschen Einstellung. Die politisch korrekte Zurechtweisung ist also eine Geste der Macht, wenigstens der Vereinnahmung, die sich von ihrem intendierten Inhalt weitgehend gelöst hat. So erscheint die PC rasch und andauernd als bigott. Andererseits, und das macht die PC so diskursfeindlich, ja gesellschaftsschädlich, ist sie in ihren Ansätzen und Formen soweit ritualisiert, dass sie sich im Korsett zurückliegender Einsichten gegen Entwicklungen und auch Anforderungen neueren Ursprungs abschottet und der behaupteten Intention - obendrein - damit einen Bärendienst erweist. 

So etwas ähnliches könnte H. gemeint haben, wenn er sich (bis zum Todeswunsch, wie er behauptet) und seine Meinungen von der französischen Linken (oder ist es nur Le Monde?) und jetzt auch noch vom deutschen Feuilleton auf das Gemeinste denunziert sieht, und man ist versucht, möglicherweise darin ein Motiv der Schirrmacher-Stiftung zu sehen, ihm beizuspringen oder wenigstens zu bedauern. Andererseits jedoch sind H.s Meinungen auf eine französisch-vertrackte Art verschwurbelt, wie er selbst es diagnostiziert: ein Intellektueller sei er nicht, und dann als Linker … für rechte Positionen einzustehen oder vereinnahmt zu werden … oder wäre es gar umgekehrt, jedenfalls, oder wie? 

Das bleibt pastell, pointillistisch; bedeutsam daran, ich habe es bereits angedeutet, erscheint mir im Kern, dass die überkommenen politischen Zuschreibungen von links und rechts (bei H.: reaktionär und progressiv) unhaltbar geworden sind, und das will ich skizzenhaft begründen. 

Auf das Derbste reduziert steht in der politischen Tradition das Rechte für die Interessen einer reichen Minderheit und einer dahin strebenden Mittelschicht: Der Werthorizont reicht von sozial-darwinistischen bis zu faschistoiden Orndungsbegriffen, ganz besonders über Fragen der (generativen) Eigentumssicherung und des kapitalen Interesseschutzes, wo nicht der Begünstigung (vor allem steuerlich, da fällt es nicht so auf), bis zu fundamentalen, patriarchalen Rollenmustern, Kadavergehorsam und unterkomplexen Kulturvorstellungen. Die Rechte als „konservativ“ zu subsumieren, traf es lange, greift aber zu kurz. Die Linke dagegen, mit ihren Ursprüngen in der französischen Revolution und der Marx'schen Analyse, steht für eine Perspektive der Unterpriviligierten, für Emanzipation und Gleichberechtigung, für kapitale Umverteilung und mitunter gar Enteignung, für gewerkschaftliche Interessenvertretung oder gar revolutionäre Umgestaltung. Die Linke als progressiv zu subsumieren traf es lange, greift aber zu kurz. 

Denn die Begrifflichkeiten leiden in Summe an ihren historischen Wurzeln: sie bezeichnen und beziehen sich auf gesellschaftliche Verhältnisse, die um eins, zwei, wenn nicht drei Jahrhundert zurückliegen, und alle Versuche, die Begriffe den veränderten technologischen und ökonomischen Bedingungen nachzuführen, haben schon den Fordismus nicht erreicht, geschweige denn die Digitalisierung. Besonders mit der technischen Entwicklung ist das revolutionäre Momentum, man möchte sagen: beinahe unbemerkt in die besitzenden Schichten gewechselt, bis hin zu einer rücksichtslosen Finanztechnologie, die weder Gott noch Vaterland, weder Staat noch Kapitalinteresse kennt. Dagegen ist das konservative Element nahezu komplett an die Administratoren der 68er „Errungenschaften“ übergegangen, die sich, um die ganze Verwirrung nur anzudeuten, zuletzt auch noch mit den Argumenten des Feminismus für die repressiven Instrumente des Islam stark machen. Entscheidend aber ist, dass dem Marx'sche Primärwiderspruch von Kapital und Arbeit durch den Verlust der Arbeit (an die Maschinen) einer seiner definitionsgemässen Bestandteile verlustig gegangen ist (ich relativiere das: verlustig gehen wird). Und wahrscheinlich ebenso grundlegend ist auch, dass das Kapital sich in einer globalisierten Transfergesellschaft jeglicher nationaler oder sozialer Rückbindung begeben hat. Das bleiben, in diesem Zusammenhang, nur Andeutungen. Und doch ist bereits damit soviel Sprengstoff unter die Begriffe gekommen, dass ihre Unhaltbarkeit einleuchten muss.

Auch daran, ungefähr, könnte H. gedacht haben, wo er sich mit der neuen Reaktion und den Progressivisten auseinandergesetzt hat; es passt vielleicht nur vektorial, aber seine Definition des Reaktionären zeigt starke Überdeckungen. 

Dann aber gelingen ihm die Stellen, mit denen, er selbst sieht es ein, er sich einer intellektuellen Diskussion entzieht: die Miniröcke, die Prostitution, die Geburtenrate, das Matriarchat. Damit wechselt er, übrigens mehrfach, den Schauplatz und verzieht sein Koordinatensystem, so dass am Ende ganz und gar unklar ist, wohin er eigentlich will. Ich meine jedoch, auch diese Ausreisser bedürfen der Rücksortierung.

H. ist 60 Jahre alt. Daraus lassen sich auch ohne persönliche Nachfrage ein paar Schlussfolgerungen ziehen, zu denen etwa die These gehört, dass sein sexuelles Leben möglicherweise wahrscheinlich ausserordentlicher Subventionen oder Interventionen bedarf. Von Robin Dietje (die Zeit, hier:) ist ihm mit besonderem Verweis auf "die Stellen" Alt-Männer-Geilheit vorgeworfen worden. Nun könnte man sagen, wer als in die Jahre geratener Mann von Miniröcken und aufregender Mädchenkleidung redet, phhh, selber Schuld. Dem muss ich scharf widersprechen, denn Herr Dietje seinerseits macht sich mit seinem höhnisch hingeworfenen Verdikt der PC-Arschlöchrigkeit schuldig. Aus eigener Anschauung kann ich berichten, gleichsam empirisch, dass Miniröcke die Phantasie anregen; ich kann’s nicht ändern. Und was wäre dagegen zu sagen: da wird ein Signal gesendet - und es wird gelesen. Mehr nicht. Ein Übergriff hat nicht stattgefunden. Soll ein gealterter Mann keine (und sei es dreckigen) Phantasien mehr haben dürfen? Und übrigens: Das Internet ist voll von jungen "dreckigen" Phantasien: Was ist mit der Jung-Männer-Geilheit - die obendrein über ein ungleich höheres Testosteron-Potential verfügt und dies leider auch aktenkundig macht?! Was aber wichtiger ist: wollte H. mit dem Argument auf die Wirkung von Miniröcken bei alten Männern hinweisen oder nicht vielmehr auf eine "neue" Schere-im-Kopf junger Frauen, und damit auf einen kulturellen Wandel, den ein (wie H. meint islamisch-) repressives Umfeld induziert?

Und gleich danach die Prostitution! Was machen wir jetzt damit. Die Ehe soll nicht ohne sie auskommen, heisst es bei H.. Und wieder heult der Chor der Latzhosen-Wölfe. Die Prostitution hat grausame Seiten: einer der Hauptvorwürfe an den Freier ist, dass er den internationalen Menschenhandel und die Gewalt gegen missbrauchte Mädchen und Frauen begünstigt. Und da beißt die Maus keinen Faden ab: so ist es. Es ist aber schon die Frage, ob damit H.s Argument getroffen ist. Er spricht sich nicht aus für und redet auch nicht von Gewalt gegen Frauen, sondern diagnostiziert, dass Prostitution eine Dienstleistung ist, die Beziehungs- und Gesellschafts-"hygienische" Wirkungen hat. Überhaupt: er redet von er Wirkung der Prostitution FÜR die Gesellschaft (während Herr Dietje nur liest, dass der alte Mann zu den Nutten geht). Und wieder kann ich aus eigener Erfahrung berichten, dass es Phasen von Beziehungen in meinem Leben gegeben hat, in den ich erwogen habe und es mir "hilfreich" erschien, eine solche Dienstleistung in Anspruch zu nehmen; ich sage: "Phasen", denn in anderen Phasen derselben Beziehung wäre ich gar nicht erst auf die Idee gekommen. 

Als wenn er noch nicht genug Schaden angerichtet hätte, kommt H. jetzt mit der Geburtenrate daher, die seit den Bekenntnissen eines Thilo S. aus B. hierzulande verbrannt ist wie eine Marone auf dem Weihnachtsmarkt. 

Wäre da nicht die Scheiss Mathematik!

Die Geschichte von den Reiskörnen auf dem Schachbrett gibt es in zahllosen Variationen. Oder, anderes Thema: die Überbevölkerung. Dass der Planet aus den Fugen gerät, wenn die durchschnittliche Geburtenrate nicht drastisch gesenkt wird, und dass die Ausbeutung der Ressourcen und die Belastung der Ökosysteme in einer gegenläufig eskalierenden Bewegung nach den Grundlagen der Existenz greifen und sie bedrohen, diese Erkenntnis hat sich herum gesprochen. 

Es fällt uns schwer, uns exponentiale Entwicklungen vorzustellen, weil wir es gewohnt sind, linear zu denken. Eine exponentiale Entwicklung setzt ein, wenn 1+1>2  (jaja, x -> a) wird. Das ist Rechnen, noch nicht einmal Mathematik, und lässt sich nicht bestreiten. 

Ich frage mich, welcher Hebel im Kopf umgelegt werden musste, wenn diese einfachen Sachverhalte nur solange gültig sind, wie sie politisch korrekt daherkommen? Wenn Herr Sarrazin oder Herr Houellebecq behaupten, dass westliche Gesellschaften in ihrem strukturellen (auch kulturellen) Bestand gefährdet sind, wenn sie von einer Entwicklung betroffen sind, in der Migration die Absorbtionsfähigkeit einer Gesellschaft übersteigt und, gleichzeitig, Immigranten eine signifikant höhere Geburtenrate haben als sie in der jeweiligen Gesellschaft vorherrscht, so ist das zunächst ebenfalls mindere Mathematik. 

Und wie man mit Migration den Bestand einer Gesellschaft in Gefahr bringt, das wurde uns zuletzt sehr überzeugend am Beispiel der VG Wort gezeigt, wo es, und es geht mir jetzt nicht um die Bewertung, ein paar wenigen Neumitgliedern gelungen ist, die Beschlussfähigkeit des gesamten Verbandes auszuhebeln.

Es erscheint mir absurd, wenn wir die Logik eines Argumentes an der Opportunität beugen. Und es erscheint mir geradezu dekadent, wenn die Form der vermeintlich korrekten Weltdeutung den Pfad zu den eigentlichen Kausalitäten vernebelt. Auch andere Gesellschaften haben ausserordentliche Migrationswellen erlebt, die USA voran, doch zeigte sich deren gesellschaftliche Verfassung so robust (und rücksichtslos!), dass es ihr gelang, die Migranten in das eigene Lebensmodell zu integrieren, ja, auch zu unterwerfen. Das kann man auch als Assimilation beim Namen nennen. Eine Gesellschaft jedoch, die sich aus Gründen einer falsch verstanden Toleranz gestattet, ihren Einwanderern das je eigene Lebensmodell zu belassen, darf sich nicht wundern, wenn im systemischen Endergebnis eine andere Gesellschaft herauskommt. 

Das, scheint mir, ist der eigentliche Kern aller fremdenfeindlichen Gesinnung: es ist die (und sei es unbewusste) Einsicht in die fundamentalen Schwächen des eigenen, des westlichen Lebensentwurfes. 

Der Höhe- oder Tiefpunkt, je nach Standpunkt, der H.’schen Argumente ist erreicht, wenn er schliesslich auch noch die Männlichkeit verloren gibt. Mein Gott, stöhnt das Feuilleton, muss das sein!

Mir ist ganz schizo bei dem Thema, wo beginnen: Die Selbstbestimmung und Emanzipation der Frau ist eine Errungenschaft der Linken, der 68er (Frauen) zumal, die sich gegen Fremdbestimmung und den Maschismo, zunächst in den eigenen Reihen – und in der Folge in der Gesellschaft im Ganzen – zur Wehr gesetzt haben. Diskursiv ist in diesem Themenfeld kein Blumentopf mehr zu gewinnen: die Einsicht in die Berechtigung der Forderungen hat sich weitgehend durchgesetzt. Mir scheint es sogar mehr als nur angemessen, hier von einem fait accompli zu sprechen. Mehr noch: Im im Zuge der Durchsetzung haben sich die berechtigten Forderungen (wie am Beispiel der PC oben diskutiert) bereits ritualisiert und formalisiert. Gleichberechtigungsforderungen heute sind eine billige argumentative Figur mit einer rückwärtsgewandten Legitimation. Wenn es eine Unterdrückung und Benachteiligung von Frauen gibt, so wenigstens nicht dort, wo darüber geredet wird: Die herrschende, die globale Klasse (Seemann) hat den Anspruch der Frauen akzeptiert. Aber, wie gesagt, mir ist so schizo, MindSet und Realität klaffen auseinander:

Auch wenn sich der Anspruch der Frauen auf eine 50:50 gleichberechtigte Rolle in der Gesellschaft (im Sinne der Anerkennung) durchgesetzt hat, von einem DURCHgesetzten Anspruch (im Sinne der quantitativen Verteilung) kann nicht die Rede sein. Zu behaupten, das Matriarchat stünde vor den Toren, ist postfaktischer Blödsinn. Die Quotendiskussion ist zwar PC-verseucht, basiert aber auf einer anhaltenden Rollenverteilung. Was ist da los (und hat es etwas mit H.s haltlosen Reden zu tun)

Mir scheint, es gibt da ein schwer auflösbares Dilemma: Der Diskurs schwebt über der Realität. Im Diskurs gibt es keine Frauenfrage: sie ist mit „Ja!“ beantwortet. In der Realität aber materialisiert sich dieses Ja nicht, oder vielleicht doch? 

Etwa in dem die (weissen) Männer immer mehr verweichlichen – wer wissen will, was ich damit meine, schaue sich das Pentatonix-Video „Hallelulja“ an, oder höre das schwammige Gerede, wenn jeder Sachverhalt stets nur „ein bischen“ so oder so ist, oder wenn an die Stelle von Leistungsbereitschaft blosses Anspruchsgehabe getreten ist. 

Und auf der gegenüberliegenden Seite finden sich die (weissen) Frauen, die gar nicht mehr nach den Früchten ihrer emanzipatorischen Anstrengungen streben – wer wissen will, was ich damit meine, höre sich die Vorträge von Frau Professor xy an, die beobachtet, dass gut ausgebildete Frauen zunehmend mit einer freizeitorientierten Mutterschaft sehr viel glücklicher sind als mit einer stressiger Karriere.

Vielleicht wollte H. darauf hinweisen, dass es zu einem Schisma kommt: Zugleich lösen nachwachsende Männer ihr „Männlichkeitsgehabe“ auf, während nachwachsende Frauen die Lücke nicht füllen, und es auf diesem Wege zu einem matriarchalischen Wertegefüge kommt, dem es an, sagen wir, „virilem Selbstbehauptungsvermögen“ mangelt. Ich selbst kann gar nicht entscheiden, ob diese „Männlichkeit“ ein erstrebenswertes Modul künftiger Gesellschaftsordnung sein sollte; sicher aber bin ich mir darin, dass es für absehbare Zeit ein notwendiger Bestandsgarant bestehender (westlicher) Gesellschaften ist.

Mir ist das französische Denken fremd. Schon immer konnte ich mich nur nach anstrengenden Nach-Übersetzungen dem (möglichen) Gedankenkern der französischen Meisterdenker nähern; und möglicherweise, wahrscheinlich sind dabei zu viele Späne vom Text gefallen, als dass ich noch einen wahren Kern zu fassen bekam. Ich vermute, dass es mir mit Houellebecq ähnlich geht. Immerhin, wenn, wie ich eingangs behauptet habe, die Rede Houellebecqs die Wasser scheidet, so vielleicht in dem Sinn, dass zwar die feuilletonistische Mehrheit darin das Manifest eines Reaktionärs erkennt, möglicherweise aber einige Wenige darin Sachverhalte entdecken, die zu diskutieren sich lohnt.