Hütet Euch vor alten Männern, (1)

Der grosse Knall

denen ist die Zukunft egal!

18-10-2022
 

Meinung, Meinung, meine Meinung, da schiesst Du doch locker mal was aus der Hüfte! Es gibt Topics, da gelingt mir das, doch die Atomdrohung Vladimir Putins kann ich nicht an einem Nachmittag abhandeln; seit drei Wochen schraub ich jetzt daran rum.

Peace, ey!

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Wer will schon über den Atomkrieg reden!

Spekulationen jedoch über das „Risiko eines Atomschlages”, „taktische” oder „kleine taktische” oder „nukleare Gefechtsfeldwaffen”, das hören wir dagegen täglich.

Zunächst: Der Unterschied zwischen Krieg und Risiko macht Sinn, denn ein Risiko wohnt immer im Futur. Um es von dort abzuholen, hat Vladimir Putin kürzlich den „General Armageddon($) zum Oberbefehlshaber der „Spezialoperation” Ukraine ernannt, der gilt als „knallhart”. Um sich und seinen Modus operandi bekannt zu machen, bombadiert der mal eben quer durch die ganze Ukraine – und findet Gefallen daran. Wenn es eines Tages noch Historiker geben wird, werden sie nachweisen, dass man dem Herrn Putin nur hätte zuhören müssen: es sei kein Risiko gewesen, es war eine Ansage! So viele Parallelen: Auf das dumm-dreiste Gerede eines Herrn Hitler wollte vorher auch niemand was geben.

Mit einem Atomschlag endet das Leben, günstigstenfalls wie wir es gekannt haben; doch woher den Optimismus nehmen? Es ist die Nachrichtenlage, bei der ich eins ums andere Mal an Adornos Diktum denke: „Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“ Ich zitiere es verkürzt, … eigentlich falsch; ausserdem ist es um die Ecke gedacht. Das muss ich erklären.

Das Zitat stammt aus dem Jahr 1949, ein Donnerschlag, der Jahre lang durch die Feuilletons echote. Zunächst: Der Satz wurde als eine Art Darstellungsverbot gelesen. Das – dann – hat nicht gehalten. Nelly Sachs oder Paul Celan, zum Beispiel, haben die These verworfen. Usw., um den historischen Kontext geht es mir grad gar nicht. Ich assoziiere Adorno weder historisch noch moralisch, sondern – hier und heute – handlungstheoretisch. Sein Diktum beschäftigt mich als Frage: Wie kann man über Theatersubventionen diskutieren, wenn die Klimakrise eskaliert? Wie kann man vom Benzinpreis lamentieren, wenn Putin mit dem Einsatz von Atomwaffen droht? Während ich die Schlagzeilen lese, befremden mich die Diskussionen des Zeitgeistes … das Gendern, die Identitätswellen, oder lass es die Höchstgeschwindigkeitdebatte sein … bis ins Mark. Mit Adorno hat das eigentlich wenig zu tun.

***

Ein Ereignis! Ist die Bombe ein Ereignis? Man kann sie doch nicht einzeln denken? Über Jahre, Jahrzehnte sogar, haben wir so ziemlich jede Vorstellung davon verdrängt, verlernt, vergessen. Jetzt, quasi über Nacht, frischt der Herr Putin unser Gedächtnis auf: der Atompilz, die Kuba-Krise, das Fulda-Gap, die Pershing-II-Debatte – und China rasselt vor Taiwan und Herr Jong-un assistiert auf der Mittelstrecke.
Was heisst hier „vorstellen”?

Was wir erinnern, die verfügbaren Bilder, die sind alt!

„Wir können uns nicht vorstellen, was wir herstellen.“ Günther Anders sagte das (1954) rückblickend; das Ausmass der Wirkung der Bomben auf Hiroshima und Nagasaki war so ungeheuerlich, dass er den blind spot der Hersteller beinahe in Schutz nahm; das „beinahe” darf man nicht überlesen. Denn sie wussten, was sie taten – in der Wüste von Nevada hatten sie es erprobt! Und nach vorn: Was mit Putins Bombe(n?) einhergeht, sprengt nicht nur meine, unsere Vorstellungskraft; es ist, zumindest die Gefahr besteht, ahistorisch: als Ende der Geschichte. In Summe jedenfalls, es bleibt ja nur bitterer Sarkasmus, wären die Debatten ums Klima für’s Erste obsolet.

Was derzeit die Diskussion um Putins Drohungen bestimmt, sind Meinungen. Man kann ja alles denkbare „meinen“, wir sind so frei. Wir meinen dieses und jenes, weil wir nicht wissen (können), was ist und was wird. Denn die Nachrichtenlage ist

  1. immer schon unübersichtlich,
  2. exponentiell unübersichtlich seit der Explosion der „Sozialen“ Medien und
  3. vollkommen unübersichtlich, weil es im Krieg keine Nachrichten gibt (nur Versionen von Sachverhalten).

In einer derart vertrackten, komplexen, und meist eben von Nachrichtennebeln verhangenen Lage hat es die Analyse schwer. Nun gut, das ist ein No Brainer. Was aber könnte man „analysieren“? Was braucht es dazu? Geht es überhaupt?

Es gibt Ansätze: In vielen Kommentaren und strategischen Diskussionen wird die Kuba-Krise neuerlich besichtigt. Mein erster Verdacht: Da gibt es Unvergleichbarkeiten. Mein zweiter Verdacht: Die Kuba-Krise wird auch deswegen gern zum Vergleich hergenommen, weil sie „glücklich“ endete – aus der Perspektive des Westens. Das wäre natürlich ein Fehler: müsste doch eine zum Zwecke der Vorschau zurückschauende Analyse die Lage „ergebnis-offen“ betrachten, also auch mit einem „unglücklichen” Ausgang. Eigentlich. So – aber wollen wir auf keinen Fall denken; ratio-teils, um keine (falsche oder selbsterfüllende) Panik zu schüren,emotio-teils aber auch, weil wir nicht denken können, dass wir sterben (werden). Also: Jetzt, bald …, im Unterschied zu „sowieso“.
Das Sowieso ist klar, aber: „Jetzt – im Augenblick, weisst Du, da passt es mir grad gar nicht!“

Deswegen reden die Analytiker lieber über die Kalküle der Abschreckung, als über Kränkung, Rache, Vernichtungszenarien. Tja: aber die Psychologie verschärft die Lage. Im Allgemeinen gelten „psychologische” Aspekte, die sich nicht aus Zahlen, Daten und Fakten ausrechnen lassen, als unbelastbar: hier beobachten wir eine ähnliche Blindstelle, wie in der Ökonomie, die vom rational handelnden Homo oeconomicus besessen war, … bis sich nicht mehr leugnen liess, dass nahezu keine Entscheidung einem Rational folgt (… und schlimmer noch: alles schon entschieden ist, bevor wir es entscheiden). Bis in die Politik hat sich das noch nicht herumgesprochen.

Putin wird alt

„Ausserdem glaube ich, dass man ihn im Westen zu Unrecht für einen rationalen Menschen hält.”
„Er ist bereit, die Welt zu zerstören, mit sich zusammen.”

„Der Zar ist unser Schicksal und unser Schicksal ist der Zar.”
Victor Jarofejew bei Anne Will

Ich habe das schon mal geschrieben: Putin wird alt; meine grösste Sorge gilt seinem möglichen, ich glaube sogar: wahrscheinlichen, Solipsismus. Immer mal wieder hören oder lesen wir, dass Putin über keine Berater verfüge, da ihm die eigene Entourage nur nach dem Munde redet: sein Denken also im Karussell des einsamen Machthabers gefangen sei. Dessen Synapsen haben sich verformt: tut er doch stets „das Richtige”: Seit 20 Jahren widerspricht ihm niemand; er lebt in einer eigenen Welt. Nach westlichen Massstäben leidet er an einer massiv verzerrten Realitätswahrnehmung; doch im gleichen Atemzug verdrängen die Analysten eben diese Diagnose als inexistent, zumindest als für das geopolitische Handeln irrelevant, „inoperational” (sehr schön zu beobachten, als Martin Schulz [behutsam, das räume ich ein] Victor Jarofejew darlegt, wie man Putin zu interpretieren habe).

Die Psychopathologie des derzeit „obwaltenden Ursachenknotens“ findet in der Diskussion um Putins Handeln kaum Beachtung. Äusserst gelegentlich hören wir Warnungen, man dürfe ihn nicht „in die Ecke stellen“, „nicht das Gesicht verlieren lassen“, er könnte im Affekt aus der (westlichen!) Ratio austreten und wie ein verletztes Tier wahllos beissen und bomben. Wenn er darauf hinweist, dass seine Drohungen „kein Bluff” sind, wird das als „hilflos” interpretiert: er habe es nötig. Dass seine Warnung möglicherweise eine Art „Verzweiflung eines Täters vor der Tat” zeigt, wird nicht erwogen.

Wenn man gezwungen ist, im Kaffeesatz zu lesen, ist jeder wie auch immer rationale, rationalisierende Strang willkommen. Weiter unten werden wir sehen, wie ungezählte Experten ihr eigenes Rational auf Putin projizieren.

***

Ich könnte nicht zählen, wieviele Filme und Erzählungen ich bereits gesehen oder gelesen habe, in denen das „Handeln zum Tode hin” Thema war: jener Moment, in dem der Gangster der unabwendbaren Alternative ins Auge schaut: Verhaftet werden und den Rest des Lebens im Knast verbringen (gar hingerichtet zu werden …) – oder jetzt, ist es wirklich ein Affekt?, die Pistole ziehen und … erschossen werden. Oder jener Moment, in dem die Crew ihr Schiff, wenn es darum geht, die Erde zu retten, in den Asteroiden stürzt – oder? Nicht? Dann aber in einem Weltall ohne Erde „überleben“? Nein. Auch das wäre kein Leben. Oder „nach mir die Sintflut”, das Prinzip der „Verbrannten Erde“, mit dem Hitler seinen Abtritt aus der Geschichte wortwörtlich „befeuerte”. Usw..
Ich habe das schon einmal geschrieben: Putin ist 70 Jahre alt! Sein Rückblick reicht weiter als der Ausblick.

„Analytiker“ berechnen und interpretieren Wahrscheinlichkeiten. Nehmen wir Frank Sauer: „Aktuell wäre für Putin mit nuklearer Eskalation eigentlich nichts gewonnen.” Aber muss man es nicht von der anderen Seite her denken: was geht ihm (ohne die Bombe) verloren: vielleicht die Macht, vielleicht sogar das Leben? Oder hören wir Carlo Masala: bei Maybritt Illner vertritt der die Meinung, dass die Gefahr für den Einsatz von Nuklearwaffen sich durch Putins jüngste Rede nicht erhöht habe. Das sollte uns beruhigen, irgendwie; andererseits ist ein Risiko, wenn es denn besteht, nicht darauf angewiesen, sich zu erhöhen. Mit dem Risiko verhält es sich wie mit dem Lottogewinn: KANN passieren. Natürlich dürften die Drohgebärden, weiter Masala, nicht verharmlost werden, aber schließlich sei Putin kein „suizidaler Akteur”. Woher könnte Masala das wissen?! Was lässt uns vermuten, dass Putins Denken und Handeln die Interessen kommender Generationen überhaupt berücksichtigen will? Seine Kinder? Magda Goebbels. Von der Wahrnehmungsverzerrung über den Altersstarrsinn, über den Wahn, und bis hin zur Demenz, gibt es eine Reihe von psychisch und/oder Alters-induzierten Insuffizienzen, deren Ausprägungen in ihren frühen und noch mittleren Stadien mit „rationalen Erwägungen” verwechselt werden können. Bei Anne Will liefert mir Martin Schulz das Titel-Zitat. Wenn es um eine Analyse geht, das will ich damit sagen, müssen mehr Umstände berücksichtigt werden, als „nur“ die rational begründbaren Zwecke eines Täters: kann sein, er hat keine (mehr). Nochmal Frank Sauer, jetzt in den „Flop Five” des ZEIT Podcast: er halte nichts von derlei Spekulation, sie führten nirgendwo hin. Und ich verstehe den Impetus: man solle nur Gedanken denken, die auch zu Ergebnissen führen. Andererseits ist so ziemlich alles, was über Putins Ziele und Zwecke erwogen wird, mit der Lupe aus dem Kaffeesatz befreit.

Die Kuba-Krise

Gehen wir es von einer anderen Perspektive an, denn es gibt sachliche Unterschiede zur Kuba-Krise, deretwegen der Vergleich, meine „Meinung“, ganz und gar unbrauchbar ist. Vor allem anderen bestimmt heute ein fundmental anderes, zynisch: innovatives, technologisches Umfeld das Welt-, das Kriegs-, und dann aber auch das Denkgeschehen. So gibt es, Stand der veröffentlichten Kenntnis, die hyperschnellen Kinschal-Raketen – also mehr als nur Prototypen –, die, nicht wie in der Kuba-Krise erst im Falle einer Stationierung, sondern bereits de facto in vier Minuten von Kaliningrad aus Berlin erreichen (warum Putin gerade Berlin angreifen sollte? Weiss ich auch nicht; eher doch das Fliegerhorst Büchel; anyway, dort ist die Rakete in Minute fünf oder sechs): Das Ende der Vorwarnzeit; das allein ist ein game changer. Möglicherweise stehen diesen Raketen EMP-Waffen gegenüber, deren Existenz eher vermutet wird, als dass sie bewiesen wäre: die könnten grossflächig alle Elektronik ausschalten, und damit eine weitreichende Handlungsunfähigkeit bewirken. Dann wieder lesen wir über die Schrecknisse von „Poseidon”-Unterwasser-Drohnen, die 500 Meter hohe Tsunami-Wellen auslösen (sollen). Schliesslich können wir über die Fähigkeiten der Cyber-Attack-Units auch nur Mutmassungen anstellen.

Schliesslich wird uns die Unberechenbarkeit der sogenannten konventionellen Kriegführung seit Monaten im Ukraine-Krieg vorgeführt. Gerade die, wir haben es oft genug gehört, völlig unerwarteten Erfolge der Ukraine, zeigen, was unsere „Meinungen” wert sind. Offenbar gibt es jenseits unserer Kaffeesatz-Interpretationen Strategien und Taktiken, die irgendwie hinterhältig und nachhaltig auf die Realität durchschlagen.

Nichts, das heute die technischen, militärischen und strategischen Umfeldbedingungen konfiguriert, ist mit dem vergleichbar, das 1962 die Kuba-Krise bestimmte. Das gilt auch für die geopolitische Situation. Allein die Weltbevölkerung: um 1960 lebten rund drei Milliarden Menschen, heute sind es acht. Nicht zuletzt aufgrund dieser Bevölkerungsexplosion ist an die Stelle der kalten Konfrontation zwischen den USA und der UdSSR eine multipolare geostrategische Gemengelage getreten, deren hervorstechendstes Merkmal ihre Unübersichtlichkeit ist (noch mal angedeutet: China, Türkei, Nord-Korea, Iran …). Hinzu kommen jede Menge Strategien und Taktiken: In den Stäben sind über die zurückliegenden 70 Weltkriegs-freien Jahre ungezählte (geheime) Optionen und (unbekannte) Planungsszenarien entstanden (sicher: stellvertretende Kriege gab es in Hülle und Fülle, aber eben nicht solche, in denen die im Archiv vor sich hinstaubenden Pandora-Schachteln geöffnet wurden). Es ist schlicht unbekannt, was in den Schubladen auf Einsatz wartet; selbst die (öffentlichen) Experten sind auf Mutmassungen angewiesen.

Die resultierende Unsicherheit und Volatilität der Einschätzungen „liest“ und versteht die Öffentlichkeit. Eben deswegen wanken und schwanken wir im Meinungskrieg: Die ungesicherte Sachlage erzeugt das Vakuum, in das hinein … die Experten, … Interessen, … traditionellen Medien und ungezählte vagabundierende, dilettierende, „soziale“ Meinungsinhaber hineintrompeten und insgesamt ein heilloses Durcheinander veranstalten. In Abwesenheit einer „Weltordnung der Gatekeeper” sind auch die Entscheidungsgrundlagen für „das Richtige und das Falsche” ins Wanken geraten; nicht allein im zivilen Umfeld.

Kein Wunder! Denn was die Welt, was der Fall ist, ist unklar. Ein bemerkenswerter Text auf Republik.ch kam (mit Bezug auf desertierende russische Soldaten) zu folgendem Schluss:„Die Wahrscheinlichkeit der Ansteckung ist grösser als in früheren Kriegen. Aus einem simplen Grund: Handys. Es ist der erste grosse Krieg, in dem die Armee­spitze nicht die Informations­hoheit hat.“ Man könnte soweit gehen und bezweifeln, dass es überhaupt eine belastbare Informationslage gibt. Verfügt Putin über eine? Die New York Times berichtet von und zitiert aus „tausenden” von Telefonaten russischer Soldaten von der Front nach Haus (über 22 von Hand-zu-Hand weitergereichte Telefone; am Ende des Textes ist zu lesen „How we reported this story”): Danach war und sei die militärische Situation wie auch die psychische Verfassung der Russen katastrophal. Die SZ zitiert „eine Mutter” aus Moskau:

„Es ist, als bewerfe Russland den Feind mit Leichen.”

Weiss Putin davon? Nach seinen militärischen Entscheidungen und allem, was wir sonst „wissen”, möchte man es bezweifeln; folgt man Victor Jarofejew, muss man den Zweifel bezweifeln.

Allgemeiner gefragt: Was wissen die Dienste? Und dann: wessen Dienste? Man möchte glauben, dass Selenskyj weiss, was läuft. Vielleicht aber muss er es gar nicht so genau wissen: Seine Leute SIND motiviert. Vielleicht agiert Selenskyj eher auf der Basis jüngerer Führungsprinzipien: guidance and empowerment statt, wie in der russischen Armee, Entmündigung und Weisung. Dafür gibt es Hinweise (auch ein Statement von Ex-General Egon Ramms im ZDF ging in diese Richtung), etwa, eine Ebene höher, in den Kommunikationsstrategien. Selenskyj hat eine fundamental andere als Putin: er redet „mit“ seinen Leuten, und „mit” den Parlamenten seiner Partner, „mit” den Vereinten Nationen (und mehr als drei Viertel der Welt folgen ihm).
Putin dagegen verkündet – mit ambivalentem Ergebnis; selbst seine „Partner enthalten sich der Stimme. Vermutlich haben seine Deklarationen einen grösseren Wirkungsgrad: in globalem Ausmass lösen sie Ängste aus. Unentschieden jedoch bleibt, ob diese Wirkungen tatsächlich seinen Zielen dienen! Selenskyj gelingt es, einzeln und kollektiv, sogar international, die notwendigen und überzeugenden Botschaften zu vermitteln (durch André Melnyk liess er die Grenzregion dieses Handelns ausloten).

Soweit zu Putin und Selenskyj, aber natürlich führen die USA, wenn auch im Hintergrund, die strategische Feder (zumindest eine). Die Deutsche Welle zitiert Biden aus einem CBS-Interview mit den Worten: „Machen Sie das nicht! Es würde das Gesicht des Krieges verändern, wie nichts anderes seit dem Zweiten Weltkrieg."

Machen-Sie-das-nicht

Eine schärfere Warnung kann ich mir kaum vorstellen.
In der FAZ lese ich die Parallelkommunikation dazu:

„Das Weiße Haus hat Moskau über direkte Kanäle vor schwerwiegenden Konsequenzen gewarnt. Im Gespräch ist offenbar ein konventioneller Gegenschlag auf russische Truppen in der Ukraine. Auch das ist kühl kalkuliert: Es würde Putin vor die Entscheidung stellen, in einen Krieg mit den USA und der NATO einzutreten.“

So spekuliert Nikolaus Busse in einem FAZ-Kommentar ($) am 28-IX-2022. An anderer Stelle wird über die vollständige Vernichtung der russischen Schwarzmeerflotte spekuliert. Der Tagesspiegel berichtet im gleichen Tenor:

„Dass sich auch in den USA die Gefahreneinschätzung zu ändern scheint, zeigt eine Aussage des US-Admirals Charles Richard, Leiter des Strategischen Kommandos des Militärs, das das Atomwaffenarsenal des Pentagon beaufsichtigt. Die „New York Times“ zitiert ihn mit den Worten: „Wir sind wieder soweit, einen möglichen direkten bewaffneten Konflikt mit einem nuklear bewaffneten Partner in Erwägung zu ziehen. Das haben wir seit über 30 Jahren nicht mehr tun müssen“.

In Erwägung ziehen! Da denke ich sofort: Enders Game. Wann flottiert die Simulation – sozusagen „seamlessly” – in die Realität? Und wann erfahren wir das? Erfahren wir das ÜBERHAUPT NOCH?

»Einen Nuklearkrieg mit der NATO hält Richter daher für eher unwahrscheinlich…. "Den kann Russland ja nicht gewinnen, sondern würde zur gegenseitigen Zerstörung führen. Ich glaube, so viel Rest an Rationalität ist sicher im Kreml noch da.“« (Oberst a.D. Wolfgang Richter, Experte für Sicherheitspolitik, im Gespräch mit der DW a.a.O.)

„… ist sicher noch da …” Was für eine Aussage! „Nee, ach wissense. Det glövich schomma ganich.“ So kann man nur reden, wenn es nichts kostet: für den Augenblick gibt es die gewünschte Aufmerksamkeit; und käme es wider Erwarten zum Unvorstellbaren, wäre sowieso alles vergangene Dummgeschwätz pulverisiert (ggf. die Schwätzer inklusive).
Andere denken anderes:

»Tatsächlich wäre ein Einsatz in der Ukraine wohl durch Russlands Militärdoktrin gedeckt, glaubt mancher Experte. Joachim Krause, Direktor des Instituts für Sicherheitspolitik der Universität Kiel, sagte kürzlich im Gespräch mit dem Tagesspiegel: „Im Prinzip läuft die Doktrin Russlands darauf hinaus, bei regionalen Kriegen – also Kriegen an der Peripherie Russlands – im Falle einer absehbaren Niederlage auf Kernwaffendrohungen und deren Einsatz zurückzugreifen, um eine Kriegsbeendigung zu russischen Bedingungen zu bewirken.“« (Tagesspiegel, a.a.O.)

Meinungen über Meinungen

Derweil werden von der Nato wie von Russland „Manöver” zur nuklearen Kriegsführung angekündigt. In solchen Manövern wird mit Platzpatronen geübt. Die sich von scharfer Munition kaum unterscheiden. Heisst es in bereits leicht brodelnden Kommentaren.

 

Weltordnung 

Nachdem ich über die Probleme der Analyse bei diffuser Nachrichtenlage gesprochen habe, wäre es absurd, zu behaupten, ich selbst könnte oder würde irgendwas analysieren. Meinung haben; mehr bleibt nicht. Und das ist umso schwieriger, je länger man hinschaut. Wer verfolgt welche Zwecke? Putin schiesst die Ukraine in die Steinzeit: ist das ein Zweck? Zig Tausende sterben, Hunderttausende leiden, Milliarden Schäden werden angerichtet; sind das Zwecke?
Der Westen benutzt die Ukraine für einen ziemlich hinterv… unerklärten Stellvertreterkrieg, mit ungezählten kollateralen Effekten: das alte Blech wird auf das Schlachtfeld entsorgt; xyz Mio t CO2 werden buchstäblich in die Luft gejagt (für den Irakkrieg 2003 wurden 141 Mio t berechnet); hinzu kommen Schuldenlasten, Abhängigkeiten und Verpflichtungen, eine beispiellose Aufrüstung, und irgendwann muss das Land wieder instand gesetzt werden. Irgendwo in der Gemengelage könnte man Zwecke vermuten, wäre nicht gleichzeitig zu erkennen, dass in der Folge mehr als die Hälfte der Menschheit unter einer Dachorganisation (SCO) aus Autokraten und Faschisten zusammengeführt wird, die Türkei inkl. und, wer weiss, bald auch Saudi-Arabien? Ungarn? Italien?
Eine Änderung der Weltordnung: dann wäre die Ukraine nur das Mittel zum Zweck.

***

Wie reden gern und ausführlich über ein Ende des Krieges; nur über das Wie gibt es keine Vorstellungen. An dieser Kante liegt alles im Argen! Das Ende des Krieges steht und fällt mit einer solchen – nämlich operablen – Vorstellung! Die vormaligen imperialen Vorstellungen Vladimir Putins für eine Ukraine nach der „Sonderoperation” sind in Blut, Asche und Trümmern versunken. Und nachdem das Bild Russlands, das der Westen über Jahre und Jahrzehnte gepflegt hat, von der Gewalt des Krieges ebenso hinweggefegt wurde, gibt es auch hier keine Idee.

Weltordnung: was wird da geordnet? Grob gesagt sind es die Beziehungen der Staaten zueinander. Die Kräfte und Interessen müssen gewogen und ausgewogen werden. Und gesichert. Ordnung kann nur herrschen, wenn nicht alle 14 Tage irgendwer irgendwen mit seiner 3. Armee überfällt.

„Die Beziehungen der Staaten zueinander” – das schreibt sich flott hin. Erstens welche Staaten: Zur Auswahl stehen westlich die USA, die Nato, die EU oder einzelne Nationen. Dem gegenüber stehen Russland und die Ukraine, vermutlich auch Belarus und möglicherweise noch ein paar kleinere Staaten: Moldau, Transnistrien, Georgien?

Der Ansatz Russlands würde vermutlich lauten: Divide et impera. Übersetzt wäre es also im Interesse Russlands, möglichst für jede Strassenkreuzung einen Einzelvertrag auszuhandeln: Schreibst Du Name hier, kriegst Du Öl (oder Gas …). Das kann der Westen nicht wollen. Aber wen schicken „wir” in die Verhandlungen? Die EU? Vielleicht mit einem polnischen Verhandlungsführer? Das war jetzt polemisch, aber wir ahnen, worauf das hinausliefe: die EU würde wegen interner Streitereien zu jeder Sitzung zu spät kommen. Auch das Minsker Format hat keinen allzu guten Ruf. Die USA? Gewiss, die hätten die dicksten Hosen. Aber wo blieben dann die Interessen Europas? Die Nato? Könnte die Nato überhaupt einen völkerrechtlich bindenden Vertrag aushandeln? Vielleicht sollte man gleich die UN ins Rennen schicken? Immerhin basiert die Nato auf der UN-Charta. Unterstellen wir mit dem geboten-gequälten Optimismus, dass der Westen das irgendwie hinkriegt – dann würde aber doch China noch mal eben den Finger heben, gefolgt von Indien, … Herr Erdogan ist am Telefon

Allein diese knapp skizzierte Fantasie legt nahe, dass sich die Organisation des Kriegsendes um ein paar Dimensionen komplizierter gestaltet, als die Kriegsführung. Vielleicht sollte man einfach weiter schiessen? Munition gäb’s noch. Und von Inhalten war noch gar nicht die Rede.

Da könnte man mal ganz platt fragen: Was (eigentlich) könnte der Westen noch von Russland wollen, ich meine ausser, dass Herr Putin öffentlich gerädert, gevierteilt und verbrannt wird. Das ist jetzt etwas grob formuliert, aber: Öl und Gas sollten doch wohl nicht mehr auf die Liste! Welche Rolle, man traut sich kaum, es hinzuschreiben, sollte Russland in der künftigen Weltordnung spielen? Und vielleicht sollte man nicht von Anfang an ignorieren, dass auch die Ukraine gewisse Interessen beisteuert: Was ist mit Reparationen? …Ohne Kapitulation???

Als der zweite Weltkrieg zur Entscheidung anstand, gab es immerhin einen Morgenthau-Plan: also gewisse Vorstellungen über das „danach”. Und, bitte sehr, der Plan hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass er verworfen wurde. Ohne Plan, keine Ordnung. Und auch keine Revision. Also auch keinen Marshall-Plan. Einen Plan oder Ansätze dazu kann ich nicht erkennen. Und auch das trägt zur Eskalation bei.

Ich bin noch nicht fertig, aber ich hier mal eine Pause.