Das ganze Copyright ist ein einziges Drama

Woher der Gedanke?

Wem gehört was – und warum!

15-03-2006
 

„Denn das ist alles nur geklaut,
das ist alles gar nicht meine,
das ist alles nur geklaut,
doch das weiß ich nur ganz alleine,
das ist alles nur geklaut
und gestohlen, nur gezogen und geraubt.
Entschuldigung, das hab' ich mir erlaubt.“

© (!) - die Prinzen

Hast Du Dir das ausgedacht?

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§ 1 - Die Urheber von Werken der Literatur, Wissenschaft und Kunst genießen für ihre Werke Schutz nach Maßgabe dieses Gesetzes
...

§ 3 - Übersetzungen und andere Bearbeitungen eines Werkes, die persönliche geistige Schöpfungen des Bearbeiters sind, werden unbeschadet des Urheberrechts am bearbeiteten Werk wie selbständige Werke geschützt. Die nur unwesentliche Bearbeitung eines nicht geschützten Werkes der Musik wird nicht als selbständiges Werk geschützt.

§ 7 - Urheber ist der Schöpfer des Werkes.

§ 11 - Das Urheberrecht schützt den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Es dient zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes.

Quelle: http://www.gesetze-im-internet.de/urhg

 

Mein lieber Freund und Kuperstecher

Dem Urheberrecht oder, was genuin etwas anderes ist, aber gewöhnlich unter der gleichen Überschrift gehandelt wird, dem Copyright, liegt der Gedanke zugrunde, dass jemand Schuld sei. Da sei etwas in die Welt gekommen, etwas Neues, Anderes, etwas, das zuvor noch nicht da gewesen sei. Und nun muß, soll, will jemand verantwortlich sein, im Guten wie im Schlechten, sei es, um Millionen und Milliarden an Credits einzusäckeln, sei es, um dafür an die Wand genagelt, vor die Inquisition gezerrt oder mit Schadensersatzprozessen überzogen zu werden.

Im Anfang nahm die Welt alles in aller Unschuld. Kein Wunder: das allererste © lag beim HerrGott, und die ersten Sammler und Jäger konnten nur aufsammeln, beschreiben, benennen, was jener grosszügig über den Erdball verteilt hatte; … oder so. Was war, war Gemeingut, und wenn es irgendwie und von irgendwem kopiert werden konnte, war das gut – für den Einzelnen, seine Gruppe, die Menschheit. Hielt nicht lange vor; schon im „alten“ Ägypten und auch in Griechenland wurde über die Bezahlung kopierter Sachverhalte gestritten.

Verfallene Copyrights nennen wir Kultur, später Zivilisation, und meinen damit, was von Mensch und/oder Genie – in zunehmend schlauer Fortschreibung der Schöpfungsleistung –, „eigenständig“ in die Welt gebracht worden war. Angefangen mit der Erfindung

  • der Keule (die geht auf Stanley Kubrik),
  • von Pfeil und Bogen (das war Robin Hood),
  • des Rades (jüngst: IvD) ...,

liessen sich eine Reihe vorzeitlicher und zeitgenössischer Copyrights, … äh, zuordnen; solang keine Technik im Spiel war, hielt sich die ganze ©-Frage in engen Grenzen.

Nicht nur für das Kunstwerk änderte sich das dramatisch mit dessen Eintritt „ins Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit“. Das diagnostizierte Walter Benjamin im Jahr 1936, begonnen aber hatte der Ärger etwa 500 Jahre zuvor. Schon damals hatte Martin Luther unter Raubdrucken zu leiden (und Ver-/Fälschungen), ebenso – oder, als mittelständischer Kunstunternehmer, doller noch – Albrecht Dürer, seinerzeit Kult, der bereits zu Lebzeiten von diversen Freunden und Kupferstechern kopiert wurde. Zwar konnten Luther und Dürer ihre Werke verkaufen; desgleichen taten es aber auch andere, die auf fremdem Ticket einen raschen Taler oder einen flinken Gulden machten. Dürer klagte bitterlich; folgenlos.

Neuerlich kritisch wird die Frage, da sich heute, im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit, mehr und mehr Mechanismen entwickeln, die die Originalität eines Beitrages selbst mit den krudesten Minimalismen konterkarieren. Nimmst Du dazu ein gegebenes Werk, sagen wir (wieder nur zum Beispiel) eine Melodie (Tatatataaa) und veränderst sie an einer beliebigen Stelle um einen beliebig „Beitrag“ (Taatatataaa; Tatatataahh; o.ä.), schwupp, da haben wir ein neues Copyright. Ob dabei eine nur „unwesentliche“ Bearbeitung vorliegt (Schöpfungshöhe), wird nämlich bei zunehmender Differenzierung eines Themas immer beliebiger: Beethovens Fünfte ist in hunderten Interpretationen – und wahrscheinlich jeder sinnvollen – ausgedeutet, und doch gelingt es eins ums andere Mal, dem Werk ein neues © abzuringen.

Gleich nebenan wohnen die Plagiate; auch sie wurden historisch breit und ausführlich thematisiert; eine Schwierigkeit gibt es schon. Denn gerade in ästhetischen Fragen macht oft der klein(st)e Unterschied grossen Effekt.

Nimm nur eine ältliche Schirmmütze und dreh sie auf dem Kopf; wenn Du sie jetzt mit einem Brand, vielleicht einem Känguruh etikettierst – Schwupp! Grad lesen wir von einem erfolgreichenen amerikanischen Entrepreneur, dessen Leistung und Rezept darin besteht, Cordstoffe nicht mehr, wie üblich, vertikal zu verarbeiten, sondern horizontal. Meines Wissens ist das kein Plagiat, aber ist es ein Copyright?! Wo fängt die eingenständige Leistung an, wo hört das Plagiat auf?

Schön ist auch die Frage, ob ein „Kreativer“ (nehmen wir vielleicht Rosamunde Pilcher) sich selbst plagiieren darf, und wenn ja, ob das – in einem solchen Fall – nicht auch jeder andere dürfen können sollte  …?

Von einem besonders delikaten Fall berichtet die Süddeutsche Zeitung vom 21.12.2005. Die Firma Microsoft, die sich bekanntlich mit grosser Vehemenz für das Thema Digital Rights Management einsetzt und die eine „Trusted Computing“ Initiative zum Teil ihrer Unternehmensstrategie gemacht hat, hat für ihre kommende Softwareauslieferung Windows Vista einen Schriftkörper kreiert: „Segoe“ genannt. Diese Schrift, so zitiert die SZ einen Unternehmenssprecher von Microssoft, mache es durch ihr „exklusives Aussehen“ schwer, die optische Anmutung von Windows Vista zu kopieren. Irgendwie kam es zu einer zufälligen Ähnlichkeit mit dem Schriftkörper „Frutiger Next“, den Erik Faulhaber in, wie es heisst, zweijähriger Entwicklungsarbeit und mit Zustimmung von Adrian Frutiger für die Firma Linotype entwickelt hat. So ein Pech! Schon der „Schöpfung“ Arial wurde nachgesagt, dass sie lediglich eine Kopie der „Helvetica“ sei. Und wer mit Apple-Fans redet, bekommt immer wieder um die Ohren, dass auch Windows ...

Uns Unbeteiligten könnte die Sache in diesem Fall eigentlich egal sein, handelt es sich doch hier möglicherweise nur um einen Fall von „Haltet den Dieb!“. Denn über die Frage, mit welchen Leistungen die Firma Linotype das Copyright für „ihre“ zum Teil Jahrhunderte alten, jetzt eben nur digitalen Schriften, reklamiert, wurde schon bei Erscheinen des ersten Kataloges Anfang der 90er Jahre heftig diskutiert.

Immerhin lernt Microsoft aus vergangenem Missgeschick. Seine Ansprüche, die „Segoe“ zu schützen, begründet Microsoft nicht etwa mit der (oben zitierten) ästhetischen Eigenständigkeit der Schrift, nein, man will sie als „Software“ schützen, und zwar für die Art und Weise, wie der Computer sie speichert. Nicht lachen, ernsthaft. Das wäre jetzt der Moment, um über Patente zu sprechen. Lohnt aber nicht, denn, so sagt man doch, sie sind ausschliesslich dazu da, den Berufsstand der Patentanwälte zu finanzieren (vergleiche –> die Steuergesetzgebung). Was also auch in diesem Fall rechtlich zu diskutieren sein wird, werden einige grosse Kanzleien unter sich ausmachen - und sich daran laben. … Jahre später …

Um die Schöpfung, Themenwechsel, um Literatur, Wissenschaft und … Kunst, was ist schon Kunst, geht es inzwischen nur noch unter ferner; seit dem Streaming spielt Musik (noch, wieder) eine gewisse Rolle, so auch der Film; achja, die Literatur, naja; in Summe sind das die Schauplätze des Gestern.

Innovation ist an die Stelle der Kunst getreten – und die braucht das Material sozusagen nur noch im Nachgang. Inzwischen ist der Gedanke das Original (wenn überhaupt), besser noch der Algorithmus, denn gleich danach beginnt das Copyright.

Wenn wir heute vom Copyright sprechen, von dem Schutzanspruch einer Person an dem von ihr selbst erzeugten (beschriebenen, gestalteten ...) Erst- und Einmaligen, das bis dahin „nicht in der Welt war“, meinen wir in zunehmendem Masse eher Erfindungen, Gebrauchsmuster, Zeichen, allerlei Schöpfungen: Prozesse, Werkzeuge, Geschäftsmodelle (Experten hier: die Samwer-Brüder), und erst dann, schliesslich, auch noch, ferner, … Kunst, Musik, Bilder, Bücher und so weiter. WAS das Individuum schöpft ist gleich//gültig: es geht um den einer individuellen Einzelleistung zurechenbaren Beitrag.

Ein Copyright auf die vorhandene Welt, auf das Rad, ein Haus, den Stuhl, das Bett (als solches) oder z.B. auf einen Buchstaben, das gibt es nicht, wohl aber viele, kleine Tricks –, hier etwas feilen, da ein bischen biegen –, mit deren Hilfe aus Gemeingütern schützenswerte Leistungen werden, vorübergehend; die heute wirksamen Schutzrechte verfallen 70 Jahre nach dem Tod des Urhebers, unter der Voraussetzung, dass niemandem ein Trick einfällt, sie mit einem Strich, einer Note, einer Fettecke oder einem Fusstritt zu verlängern.

„Wir schützen die Interessen der Urheber und sorgen dafür, dass Kriminelle nicht mit dem geistigen Eigentum anderer stiften gehen. Wir wollen sicherstellen, dass die Kreativen ihren gerechten Anteil bekommen.“ Whow; die Demokratie ist ausgebrochen, das Volk soll siegen, und die Gerechtigkeit. Allerdings liegt die Betonung auf Anteil – und darauf, wer für wen sorgt. Unter dem Vorwand des Schutzes des kreativen Individuums (das, um allen Missverständnissen vorzubeugen, diesen Schutz dringend benötigt) schützt das Copyright vor allem industrielle Interessen; die Musikindustrie sei nur nochmal der flüchtigen Erinnerung wegen genannt.

Kollateral leidet die Schutzwürdigkeit als solche in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Folge-Folge aber ist, dass kreative Leistungen sich nicht mehr an an schöpferischen, geschweige denn „sinnstiftenden“, sondern an rechtlichen Aspekten ausrichten. Keine Atempause, Geschichte wird gemacht, es geht voran.

Die Büchse der Digitalisierung

Im gegenwärtigen Welten-Wettlauf ist es eigentlich ein Wunder, wenn die eigentliche Bedeutung einer Entwicklung erst mit Verzug deutlich wird. Zum geringeren Teil liegt das an der herrschenden Ungleichzeitigkeit – z.B. leben immer noch relevante Teile der Welt im Industriezeitalter – deretwegen digital getriggerte Entwicklungen sich nicht überall zugleich durchsetzen. Andererseits ist die Zahl jener, die von den Überlappungen und der Strahlkraft der digitalen Entwicklung unberührt bleiben, sozusagen am abstürzen! Wenn also Bedeutungen nicht gleich erkannt werden, so ist das Adjektiv „eigentlich“ dafür verantwortlich: in dem gleich mehrere Sachverhalte um die Vorherrschaft streiten.

Zunächst waren Luthers oder Dürer Probleme dinglicher Natur: irgendwelche Hundesöhne verfertigten zuweilen meisterliche Kopien der Meisterwerke und vertrieben sie abseits gesicherter Rechtsräume. Dem zu begegnen, müsste „man“ jede einzelnen Fälschung/Kopie aufspüren. Schwierig! Weil: Im 16. Jahrhundert zerfiel das Heilige Römische Reich Deutscher Nation in zehn „Reichskreise“ mit überaus wüsten Grenzverläufen, jeweils konkurrierenden Zuständigkeiten, inneren Konflikten und querspriessenden Ansprüchen. In diesem Umfeld war bereits das „man“ ein Problem. Ohne eine die Rechtssicherheit besorgende Zentralgewalt würde der Urheber jedem Verstoss hinterherreisen müssen; nicht zu reden vom vorlaufenden Aufspüren und nachlaufenden Durchsetzen eines Anspruches. Gut, das war „damals“; immerhin entstand mit der deutschen Einigung 1871 ein „Bürgerliches Gesetzbuch“ und eine dies exekutierende Exekutive.

Damit war vielleicht eine Schlacht gewonnen, nicht aber der Krieg um das Copyright; denn inzwischen hatte sich eben jene technische Reproduzierbarkeit perfektioniert, die Benjamin epoche-machend thematisiert hat. Was der liebe Freund und Kupferstecher noch mühsam und manuell verfertigt hatte, übernahmen fürderhin, zack-zack, die Maschinen. Das ging so eine Weile. Ich erinnere Abende in meiner damaligen Stammkneipe, an denen C-Promis der linksradikalen Enteignungsbranche mit einem Kartönngchen hereinkamen und – von Theodor Wiesengrund Adorno über Gabriel Garcia Marquez bis Jean Baudrillard – ein fabelhaftes Sortiment aktueller Bestseller zu überaus erschwinglichen Preisen feilboten. Ich weiss gar nicht mehr, wo sie das Zeug herhatten, in meinem Exemplar vom „Symbolischen Tausch“ fehlt die Seite mit den entsprechenden Angaben.

Damals herrschte immer noch – filmen, drucken, binden, in die Kneipe schleppen – eine höchst basale Materialwirtschaft. Heute treibt ein exponentialer Faktor sein raubritterliches Unwesen; und der hat wieder ganz andere Tücken! Kost ja nix, so eine digitale Kopie! From Pirate Bay to Paradise!

Jetzt wohnt das inkriminierte „eigentlich“, das uns den Blick auf die eigentlichen Bedeutungen verstellt, in der verborgenen Ambivalenz, der Janusgesichtigkeit von allem: wir berauschen uns an der UpSide. Der cold turkey, danach, treibt uns um; doch wirklich begreifen können wir das Geschehen nur langsam. In der Grauzone der Un//Gleichzeitigkeiten – in denen das Alte, Bewährte, Vergangene und Tote munter neben dem Neuen, Zerstörenden, Umwerfenden, Revolutionären und Unsicheren her-existiert und sich sogar bei gelegentlichen Festivals (etwa der Buchmesse) miteinander vergnügt – findet ein unerbitterlicher Verteilungskampf um die Grundlagen gesellschaftlicher Verfasstheit statt. In diesem Hauen und Stechen hat das Alte schlechte Karten, auch wenn es mit der Arroganz des Faktischen auftritt – gegen die Brutalität eines Kindes, mit der das Neue auftritt, ist es chancenlos.   

Die Digitalisierung ist ein Monster. Es ernährt sich von den Fundamenten der Welt: vom Eigentumsbegriff. Anfangs glaubten wir, die Angreifer hiessen Napster, Kazaa, Grokster et all.: attack.dot.com! Zeig mir ein erfolgreiches Geschäftsmodell – und wir killen es! Wir dachten, es gäbe eine New Economy; wir dachten, wir heben die Welt aus den Angeln. Wieder haben wir die eigentliche Bedeutung erst spät verstanden. Denn wir haben „übersehen“, dass die Microsofts, all die Apples, Googles, facebooks, und wie-sie-alle-heissen, wenn sie erst einmal damit fertig sind, die „Angreifer“ mit Zuckerbrot und Exits zu domestizieren, sozusagen am Ende ihres afternoon shoppings, den Eigentumsbegriff zu ihren Gunsten neu erfunden haben werden: drei-zwei-eins-meins.

Heute steht die Korrumpierbarkeit als Präambel vor jedem Business Plan.

Woher eigentlich kam die Idee?

Abgesehen davon, dass die herrschende (... alte ...) Welt seit Menschengedenken sich bemüht, die eigenen Pfründe zu sichern, und die nachwachsende (... neue ...) Welt sich einen kühlen Kericht um die Ansprüche der Altvorderen kümmert – und sich das (vermeintlich) Ihre mit Faust und Flinte, Maus oder Tastatur, einfach nimmt –, richten sich auch Fragen an unsere Vorstellung von der Idee. Denn die Digitalisierung ist erst das letzte, fast könnte man sagen: das finale Problem des Copyrights. Das erste Problem ist die Urheberschaft selbst.

Nach allgemeinem Verständnis regelt das Copyright eine Reihe von Selbstverständlichkeiten, dabei ist bereits im Grundsätzlichen einiges ungeklärt: nämlich wie eigentlich ein Mensch, der mit leerem Hirn und ohne Taschen auf die Welt gekommen ist, auf die Idee kommen kann, dass irgendein Gedanke seiner ist?

Die Frage ist für schon sich diffizil.

Im Copyright wohnt Eigentum; wo kommt das her? Ist denn, oder inwieweit ist denn eine Idee, dieser oder jener Gedanke, die Folge einer persönlichen, dem Subjekt zurechenbaren eigenen Hirnleistung? Ist die Idee nicht viel eher etwas „Unausweichliches“, nämlich die logische Folge einer (und sei es komplexen) Koinzidenz?

Was auch immer die Idee hervorgebracht hat, der Mensch muss es zunächst erlernt haben, und das heisst: er hat es von aussen, aus dem „Nicht-Ich“, aufgenommen. Nicht nur die Fakten der Welt, auch die Einflüsse, die Erziehung und Menschwerdung, Umwelt, Kultur, gelernte Gesetzmässigkeiten, plus ein – zunächst genetisch codifizierter – Koffer aus Verarbeitungs- und Kommunikationsfähigkeit, in dem unser Wissen um die Zusammenhänge zusammengeschnürt ist, die Gesetzmässigkeiten der Logik, die Bewertungskriterien der Intuition (wenn es sie denn gäbe), Bedeutung und Bewertung – und schlussendlich auch das Gefühl darüber, ob ein Gedanke etwas taugt oder nicht. Bringe denn „Ich“ ein mehr oder weniger grosses Set eigenständiger Genialität mit in die Welt? Oder bin ich lediglich eine Serien-CPU und ein (eklektischer) Compiler zufälliger Gegenwarten? Und wäre, wenn ja, dann auch ein Computer eine kreative Persönlichkeit, zum Beispiel, wenn er eine Korrelation identifiziert oder ein Prozessergebnis vorhersagt?

Anekdotisch: Ich hatte mal so eine Idee – kam über mich wie das Schwert des Erzengels Michael und haut mir gleichsam einen Gedanken von den Schultern: Heissa! Genial! HerrnEinsteinSeinSonnenkönigsGefühl, ich gönne mir das, zumal, wenn keiner zuhört. Jetzt Disziplin! Strukturlose Ideen sind schädlich, Wolkenkuckucksheime, in deren Anbetung sich Träumer verlieren. Und deswegen mache ich folgendes: Ich gehe schwanger und brüte, male und arrondiere und aus der Idee wird langsam eine Struktur. Ich bastele und stricke und beschaffe oder ersinne Module, Modelle, und sammle die Werkzeuge, um die Idee umzusetzen. Stell Dir das vor: ich – ganz verzückt, es rauscht, der Flow, wunderbar.

First we take Manhattan, then we take Berlin!

Das geht eine Weile, dann in die zweite Welle: jetzt recherchiere ich im Internet. Padauz: Dort lerne ich, dass genau diese oder wenigstens eine sehr ähnliche Idee bereits seit so und soviel Jahren von einer US-amerikanischen oder sonstwoher Firma umgesetzt wird, gelegentlich sogar überzeugend. Oder ich sehe meine Idee als Produktbild in einer Werbung. TomWolfeSeinMasterOfTheUniverseGefühl ist dann erstmal rum.

Also gut, ich kam zu spät, und das Leben ... aus und fertig. Manche kamen zu früh, und es erging ihnen nicht besser. Das alles ist wahr und bitter, und statt der ersehnten Cohiba rauche ich weiter Selbstgedrehte. Abgehakt (hier mein Spendenkonto ...): Aber diesen Loser-Aspekt mein ich nicht.

Was ich eher meine: wie viele Ideen tauchen gleichzeitig und voneinander unabhängig irgendwo in der Welt auf? Woher diese Gleichzeitigkeit oder Parallelität oder Koinzidenz oder wie immer wir das (ca.) nennen wollen; schon bei Newton und Leibnitz? Ich war nicht der Einzige und schon gar nicht der Erste! Wie kann das sein? War, ist, der HerrGott im Spiel? Sind es die Dinge, die unsere Ideen evozieren? Wer dabei war, konnte es in der New Economy im Wochenrythmus miterleben.

Die Ideen waren einfach reif, omnipräsent., Über den Zieleinlauf entschied nicht die Brillianz einer Idee, sondern der Zufall, wer und wo sie zufällig pflückte, wer wann am rechten Ort war. Im Valley wuchsen die Investitionen nur so über den Tisch, in Deutschland trollten die Bedenken nur so durch die Meetings. Von den vielen Abenteuern gingen einige tatsächlich in die Hose: in den USA reparierte das die Statistik, in Deutschland ünersiedelten die Loser mit ihren CVs ins Nirwana.

Mein Gen, Dein Gen

Schlagen wir uns, statt über die Ungerechtigkeit des Weltenlaufs zu jammern, auf die Seite der Realität und stellen die philosophischen Kalamitäten von Henne, Ei und Originalität, frei nach Darwin, hintan. Dann geraten wir an ganz andere Grenzen; kritische Aspekte der ©-Frage finden sich ja allerorten. Da wäre, ein Beispiel unter anderen, die Patentierbarkeit von Genen. Rückblick.

Bei Brecht, der viele, wenn nicht die meisten seiner Ideen bei Marie-Luise Fleisser auslieh, lesen wir: „Caesar schlug die Gallier. Hatte er nicht wenigstens einen Koch bei sich?“

Weder das Human Genom Project noch Celera Genomics haben die Gene selbst „gemacht“, „erfunden“, „geschöpft“. Bei Celera wurden sie zwar dekodiert, dechiffriert, transkribiert (bestimmt gibt es einen terminus technicus). Doch zu den fundamentalen Voraussetzungen dieses „Ausbuchstabierens“ der AT-GC-Paare gehören die Arbeiten von James D. Watson, Francis Crick, die ihrerseits die Arbeiten von Rosalind Franklin, Linus Pauling und Maurice Wilkins verarbeiteten; und das ist nur ein grob herumfuchtelnder Hinweis auf andere Beteiligte!

Eine wieder andere Voraussetzung waren Computer: „Distributed computing and database technology as well as advanced search software and other technologies were employed to reach the goal of uncovering the basic plan for human life.“ schreibt Amy Bennett in der computerworld am 08-12-2000. Computer wiederum basieren auf den Arbeiten von Ada Lovelace, Charles Babbage, Alan Turing und wie vielen anderen. Wenn wir heute von der Dekodierung des Genoms sprechen sind all die Voraussetzungen und auch das personenlose Human Genome Project vergessen; wir verbinden diese „herausragende Leistung“ nur noch mit dem einen Namen von Craig Venter.

Wer oder was ist Craig Venter? Er nutzte eine pralle Welt von Kenntnissen und Werkzeugen, die andere geschaffen haben, die sozusagen schon da waren – und wie steht es um die Hirne, Genialitäten und Eingebungen seiner Mitarbeiter? Und hätten alle zusammen überhaupt denken können ohne all die Ausbildungen, die (privaten und öffentlichen) Fördergelder, mit denen die Zeit finanziert wurde, die zum Auffinden des „Beitrags“ benötigt wurde? Immerhin: Celera hat seine Ergebnisse publiziert.

Der nächste Schritt dann handelt von der Patentierbarkeit von Genomen. Jetzt kommen jene Firmen und Konzerne ins Spiel, die ihre Existenz dem Patentrecht verdanken. Sie bedienen sich „öffentlicher“ Erkenntnisse, die sie aus all den unfassbar teueren Publikationen zusammenklauben, in denen die mit Steuergeldern geförderten Wissenschaftler publizieren „müssen“, um voranzukommen, und machen daraus allerhöchstprivatwirtschaftliche Produkte: jetzt geht es um das Basteln und Stricken, mit dem das Genom „zu ihren Zwecken“ verändert wird. Bereits die Idee, dass Manipulationen am menschlichen Gen qua Patent zu einem Eigentum werden, diese Idee, das muss man zugestehen, hat eine gewisse Schöpfungshöhe. Steht sie doch am Beginn einer wundersamen Geldvermehrung.

Nehmen wir einmal Zuchtstiere – oder Genkartoffeln oder schimmelresistenten Roggen. Längst haben sich Industrien, Monopole, gebildet, etwa bei der „Saatgutproduktion“, deren Leistung, Copyright, ja sogar deren „Existenzberechtigung“ darin besteht, ein gewünschtes Merkmal (zum Beispiel diese Schimmelresistenz ...) zu schützen, indem sie gleichzeitig ein anderes, n-a-t-u-r-g-e-g-e-b-e-n-e-s Attribut (nämlich den Seinszweck des Korns als Samen) genetisch verhindern. Man muss es zweimal lesen: Einem Samen die Urmechanik der Weltentwicklung zu nehmen, nämlich als ausgereiftes Korn wieder zum Samen zu werden – und durch eben diesen Vorgang aus dem in der Welt vorgefundenen ein Eigentum zu machen – wenn das nicht pervers ist, was dann?   

Schon früher lag ich mit dem Copyright über Kreuz, etwa wenn irgendwelche Jodel-Spatzen-Hirne irgendeinem DumDidelDö ein copyright auf- und damit Millionen abdrückten, während Autoren von Weltliteratur, Musil etwa, unter prekären Bedingungen litten oder, andere, mit Verlegern oder Lektoren herumstritten, um ihre Werke überhaupt zu publizieren. Ja klar, die Masse macht’s; nicht, dass ich das nicht verstünde; es zu akzeptieren, das wollte mir nicht gelingen!  Doch ich und all das wird blass bei der Lektüre der Geschäftsberichte von Monsanto oder Celera.

Die Neuverteilung der Welt

Jaa, das sind durchaus philosophische Fragen; und wen kümmert’s? Oder stossen wir am Ende auf einen praktischen Kern? Denn wo oder worin endet die „Aneignung der Welt“, wenn erst einmal „alles“ digitalisiert sein wird? In diesem „alles“ steckt einige Sprengkraft: schon seit Jahren lesen wir von Fortschritten bei den 3D-Printern, die nicht nur Brillen, Pistolen oder Häuser, sondern bald auch Nieren oder Haut und schliesslich ganze Körper „drucken“ können. Schlussendlich haben wir Materie-Compiler, wie sie Neal Stephenson in Diamond Age gezeichnet hat; ist vielleicht nur noch eine Weile hin. Nur wird dann aus einem Code und einem Feed „alles“ produziert werden können. Wem gehört die Welt – dann?! Werden als nächstes Atome patentiert?

Anekdotisch: Schon vor Beginn meiner beruflichen Laufbahn war ich besessen von der Einsicht, dass die Form genuiner Bestandteil des Inhaltes ist, oder sagen wir: wird. Denn Form wie Inhalt müssen hergestellt werden. Mein Hometurf war das Denken – mir ging es also um Texte. Schon früh versuchte ich, meinen Texten besondere Formen zu geben, etwa in dem ich – wie in frühen Evangelien – Initialen malte oder Briefe mit Girlanden verzierte. Als es Schreibmaschinen gab, die – Zeile für Zeile – Texte in proportionaler Schrift ausgeben konnten, musste ich eine besitzen. Der IBM Composer mit auswechselbaren Kugelköpfen war mir ein feuchter Traum: leider unbezahlbar. Ich überspringe einen alphatronic, einen MS-DOS-Clone; immerhin lief auf diesem bereits der Ventura Publisher, der einen Vorgeschmack auf das kommende Desktop Publishing gab. Mit meinem ersten Mac fiel das Glück vom Himmel! PageMaker, boah! Worauf ich hinauswill ist aber dies:

Mit dem Mac konnte ich ALLES selber machen: Schreiben, Layouten, (Laser-)Drucken, Kalkulieren, Präsentieren – nahezu der komplette Produktionsprozess Print fand jetzt in einer Maschine statt, auf meinem Schreibtisch! Wozu braucht es Verleger, wenn ich es selbst machen kann? Wer braucht … die Musikindustrie? die Banken? usw. Mit der Digitalisierung gelangten die Maschinen, die Produktionsmittel, in die Hände der … naja … „„Arbeiter““, und als dann das Internet dazu kam, gab es schlicht kein Halten mehr. Soeben wurde die Welt neu verteilt; keine Macht, für Niemand! Anarchie war machbar, Frau Nachbar.

Bis zum Beginn der Digitalisierung gingen wir allgemein davon aus, dass der „Rechtsraum der Urheberschaft“ über die letzten drei Jahrtausende hinreichend geklärt werden konnten und wir insofern eine stabile Rechtslage haben. Mit der Digitalisierung einher aber gingen fundamentale Änderungen – und sie betrafen in der Perspektive alles, die ganze Welt. Was wir aber heute verstehen müssen ist, dass mit Google und Microsoft und Amazon und ebay und iTunes und all den digitalen Platformen das roll back stattfindet: die Industrie erobert den Raum zurück, der ihr mit der Digitalisierung sozusagen „an jedermann“ (und -frau) abhanden zu gehen drohte. Big Tech is Big Money; für einen Moment lang sah es so aus, als wäre das überwunden.

Und das Copyright ist dabei, je nach Sichtweise, ein casus cnactus oder der casus belli.