Argumente für eine zweite Amtszeit

mal quergedacht

über negative Vorteile

20-08-2020
 

Soeben haben wir Barack Obama zugehört, der auf dem Nominierungsparteitag der US-Demokraten für Joe Biden und Kamala Harris gesprochen hat; was ein ewiger Jammer, dass der sich nicht zum Diktator hat wählen lassen! …

The Donald II – © Gage Skidmore from Peoria, AZ, United States of America via Wikimedia.org

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Auf dieser Seite der Barrikade sind wir uns einig: Trump muss weg. Sein Denken und Tun beleidigt und gefährdet die Menschheit, schadet seinem Land, seinen „Verbündeten“ und dem Planeten.
Nachdem wir uns in diesem Sinne zugenickt, die Schulter geklopft und darüber versichert haben, dass wir eine schier endlose Liste detaillierter Argumente beibringen könnten, machen wir einmal eine kleine Denkübung – und blicken aus anderer Perspektive auf das Zeitgeschehen:

Eine Handvoll Argumente für eine zweite Amtszeit

Mein wichtigstes Argument zuerst:

  • Ohne Trump wird die Nato weiter dahin siechen.
    Nichts ist schwieriger, als Vertrauen aufzubauen, nichts leichter, als es zu zerstören. Einen Löwenanteil der globalen diplomatischen Instandsetzungsarbeiten wird eine Regierung Biden darauf verwenden müssen, all das zerschlagene Porzellan zu kitten, das – immer wieder erstaunlich – ein einzelner Elefant auf den Bühnen der Welt hinterlassen hat. Ein nennenswerter Teil der der Wahlkampf-Agenda befasst sich mit Wiedereinsetzung der Verbündeten als Freunde und Partner der USA. Diese Arbeit wird nicht gelingen, wenn das Ziel, der Status Quo ante, im gleichen Atemzug in Frage gestellt würde. Was immer mittelfristig die Interessen der USA sein werden, hier und heute müsste Biden die Nato mehr als nur insoweit stützen, dass sie keinen weiteren Schaden nimmt.
    Ich selbst plädiere seit Jahren dafür, die Nato aufzulösen und durch eine Euto zu ersetzen. Das Thema hat einen schweren Stand, denn – schon klar – auf der Agenda steht nur Gender. Dabei lässt es sich nicht nur gut begründen, aus europäischer Sicht ist es zwingend notwendig. Seit nun Hans-Dieter Heumann in seinem jüngsten Buch „Strategische Diplomatie“ in die gleiche Richtung argumentiert, fühle ich mich nicht mehr ganz so allein. Heumann ist nicht irgendwer, er war als Botschafter und Diplomat in Washington, Moskau, Paris und Brüssel, zuletzt Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik. Wir hören und lesen ja immer wieder, dass Europa seine Sicherheitsinteressen auf die eigenen Füsse stellen müsse – aus dem „inneren Kreis“ der deutschen Aussenpolitik hören wir, wie üblich, eher gar nichts. Deswegen hat Heumanns Position, der eben dies fordert, einiges Gewicht! [Nachtrag: Guy Verhofstadt, auch kein Leichtmatrose, argumentiert ebenso]
    Als Euto, das ist jetzt wieder meine eigene Meinung, könnten die „Europäischen Streitkräfte“ eben jene Strukturen nutzen, in denen die Nato seit 70 Jahren arbeitet – nur dann eben ohne die USA. Am Material scheitert das nicht: Europa hat mit 1.6 Mio aktiven SoldatInnen die drittgrösste Armee des Planeten und mit 250 Mrd € zudem genügend, nämlich das zweitgrösste Budget, diese Armee zu Effizienz und Effektivität zu relaunchen. Mit ein wenig diplomatischer Phantasie würden diese Streitkräfte unter ein britisches Oberkommando gestellt, ein denkbarer, attraktiver Weg, unsere verirrten Nachbarn zur Besinnung zu bringen und zugleich zu vermeiden, dass die USA die Insel als Brückenkopf gegen Europa instrumentalisierten. Zum Ausgleich etwaiger Befindlichkeiten würden die Land- und Luftstreitkräfte der französischen Generalität unterstellt. Usw., sehr viele Teufelchen tanzen in den Details, hier geht es nur um die Richtung.
    Würde also Trump abgewählt, so wäre zugleich die historische Chance auf Jahre, wenn nicht Jahrzehnte vertan, die geopolitische Ordnung den Notwendigkeiten des 21. Jahrhunderts anzupassen. 
     
  • Mit Trump dagegen würde Europa (endlich) gezwungen, sich zu einen.
    Das politische Argument ist – eigentlich – dem militärischen vorgelagert; andererseits hat Europa einige Übung darin, den dritten Schritt vor dem ersten zu tun, und dann darauf zu hoffen, dass so genügend Pull-Kräfte entstehen, um beim Hinterherstolpern auf den Beinen zu bleiben. Für diese Springprozession kann ich mir keine bessere Rahmenbedingung vorstellen, als einen amerikanischen Präsidenten, der fortdauernd seine Verbündeten vor den Kopf stösst. Der Druck einer zweiten Amtszeit könnte sogar hinreichen, ggf. mit einer „Republik Kerneuropa“ zu beginnen – und in eben diesem Prozess würde sich auch zeigen, welche europäischen Nationen lediglich als Trittbrettfahrer die ökonomischen Vorteile der Union kassieren wollen, und welche die geostrategischen Notwendigkeiten verstehen und stützen. Druck von aussen: traditionell eine integrative Kraft, die wie keine andere intrinsische Motive befördern könnte, um all die kleingeistigen Nationalismen zu überwinden – oder wenigstens, wo Nationalismus als eine Art Erbhypothek des Menschen erscheint, den alten durch einen neuen, europäischen zu ersetzen.
    Unter den Bedingungen eines europäischen Einigungsprozesses wären dann die tatsächlichen – und eben deshalb auch zukunftstauglichen – Interessen Europas neu auszurichten. Mit einer zweiten Amtszeit Trump würde „endgültig“ klar, dass die vorgebliche „Wertegemeinschaft“ mit den USA eine in Auflösung befindliche Illusion ist, und wenn – nach diesem Eingeständnis – ohnehin nur „Interessen“ übrig bleiben, so würde sich auch klären, warum eigentlich uns die USA wichtiger sein sollten als Russland oder China.
     
  • Die fatale Politik Trumps könnte einen namhaften Beitrag zur Entlastung der Klimabilanz leisten.
    Im zweiten Quartal 2020 ist die US-Ökonomie gegenüber dem Vorjahr um 9,5% geschrumpft. Im Mai lasen sich die Prognosen so, dass der Rückgang mit einem kraftvollen Aufschwung würde ausgebügelt werden können; jüngere Prognosen sind nicht verfügbar, Zweifel aber schon. Die Covid-19-Infektionsraten haben sich nach Mitte Juni verdoppelt, von täglich 25k auf täglich ~50k. Das Virus wird weitere Verwüstungungen in der US-Ökonomie hinterlassen und es besteht die Möglichkeit, dass sie insgesamt kollabiert. Trump hat nicht erkennen lassen, dass er einer solchen Situation intellektuell gewachsen wäre; zugleich ist die US-Administration soweit ausgedünnt, dass auch von dort keine stabilisierenden Impulse zu erwarten wären. Für eine zweite Amtszeit wäre demnach mit einer „ökonomischen Implosion“ zu rechnen, mit weltweiten Streueffekten.
    Ökologisch wäre das … äh …, gut.
    Das ist, zugegeben, ein ebenso zynisches wie sarkastisches Argument, dass auf dem Rücken der US-und der WeltBürger ausgetragen würde. Andererseits ist es doch längst eine Binse, dass Schrumpfung eine ökologische Überlebensbedingung geworden ist, und wie könnte das besser gelingen als mit einem Präsidenten, der mit Dummheit und Schmackes die Erfolgsfaktoren seines Landes ruiniert? Ökologisches Leid und Elend erscheint ohnehin unvermeidlich, jedenfalls für all jene, die die Prognosen zur Wachstumsentwicklung von Wirtschaft und Bevölkerung auch nur im Ansatz verstehen. Und wenn das so ist, dann … vielleicht? … doch lieber ein Ende mit Schrecken.
     
  • Eine weitere Amtszeit Trumps diente der politischen Abschreckung.
    Ich kann nicht nachweisen, dass die Wahl Emanuel Macrons in einem direkten Zusammenhang zu der nur ein halbes Jahr zuvor erfolgten Wahl Donald Trumps steht – halte das aber für eine sehr plausible Spekulation. Faschistisches oder faschistoides Potential korreliert mit Intelligenz; daher existiert es zu allen Zeiten und überall auf der Welt, und es ist gleich _ gültig, unter welcher nationalen, religiösen oder ökonomischen Rahmenbedingungen es zum Tragen kommt.
    Trump hat gezeigt, dass ihm die demokratischen Institutionen, die Verfassung und das Wohl seines Landes überwiegend wurscht sind. Sollte er wiedergewählt werden, wird er es als ein Mandat zu einer neo-faschistischen Umgestaltung der USA auslegen. Sein Reden und Schweigen darüber, eine Wahlniederlage zu akzeptieren, gibt der Prognose Futter, dass er auch die Abschaffung der Beschränkung auf zwei Amtszeiten anstreben könnte. Der Einsatz von unidentifizierbaren, paramilitärischen „Polizei“-Kräften in Portland ist ein weiteres Indiz.
    Zu den wenigen Vorteilen einer vernetzten Welt gehört es jedoch, dass noch so entfernte Entwicklungen überall und in Realtime zu beobachten sind und so all jenen hier, auf dem Alten Kontinent, zu denken geben, die mit populistisch-autokratischen Tendenzen liebäugeln, sie für gut heissen und befördern. Das Beispiel Trump stellt den faschistischen Werkzeugkasten auf die Weltbühne und scheidet so die Spreu der Dummheit vom Weizen der „Protestler“ und Mitläufer.
     
  • Mit einer Trennung von der paternalistischen „Besatzungsmacht“ USA einher geht auch ein kultureller Relaunch.
    Das wird jetzt auf die Kürze ein sehr verkürztes Argument: der Zustand der Welt ist ein Ergebnis andauernder US-Propaganda. Nur ein politischer Prozess ermöglicht auch die Ablösung von der Hollywoodkultur, die seit Jahren und Jahrzehnten ein neoliberales, sozialdarwinistisches Weltbild verbreitet.
    Zugegeben, mein schwächstes Argument, auch weil es facettenreich und vielschichtig ist und soviel Raum bräuchte, um seriös begründet zu werden; es … liegt mir am Herzen. Europas Kultur, und ich meine damit nicht Heimatvereine oder karnevalistischen Schunkelveranstaltungen …, steht seit dem Ende des zweiten Weltkrieges unter Kuratel. Halb zog es sie, halb sank er nieder; der Vorgang war von Beginn an durchaus ambivalent – und wenigstens in der nicht zu unterschätzenden musikalischen Sparte dürfen wir den britischen Einfluss als „europäisch“ verbuchen. Viel mehr aber war’s nicht. Auf’s Ganze gesehen hat die Suggestionskraft der TV-Bilder, von Lassie und Fury über Bonanza, SesamStrasse, Matlock, Mash, Dallas, Denver Clan, Ally McBeal, Sex in the City, House of Cards, bis Breaking Bad … die nachhaltigeren Spuren hinterlassen – und da habe ich vom Kino noch gar nicht gesprochen. Das weiter zu untersuchen und auszuführen, führte für diesen Zwischenruf zu weit.
    Worauf es mir ankommt ist, dass es derzeit keinen überzeugenden Resonanzraum, keine kulturelle Legitimationswerkstatt für die Entwicklungen gibt, die auf uns zukommen. Das amerikanische Zeitalter ist vorbei, das kommende, chinesische kopiert den American Dream, unterfüttert von – für uns – unattraktiven Traditionen. Da ist eine Lücke, ein Vakuum, ein Desiderat, dass ich jetzt mal hilfsweise eine „neue europäische Kultur“ nenne. Die aber nur entsteht, wenn wir Anreiz und Grund genug haben, uns von der potemkinschen Weltbildproduktion der USA abzuwenden.

Ich sag es noch mal zusammenfassend: Wenn Donald Trump oder die amerikanischen Wähler uns und die Welt mit einer zweiten Amtszeit für all unsere Sünden der Vergangenheit bestrafen, so könnte sich daraus möglicherweise ein weiterer Nachweis für die These entwickeln, dass es erst sehr viel schlechter werden muss, bevor es besser werden kann.