Der Aufklärer bei der Arbeit.

zu Michael Seemann

... und jetzt mal genug blabla ...

16-05-2018
 

Zitat Seemann: „ich begrüße, dass es endlich eine kritische debatte über datenschutz gibt, allerdings verbleibt sie an der oberfäche. die aktuellen probleme mit der #dsgvo greifen viel tiefer, als nur die handwerklichen fehlleistungen bei einigen paragraphen. das problem ist die grundideologie mit der seit den 80er jahren gearbeitet wird und an die sich eine ganze tradition von unhinterfragter rechtsdogmatik angeschlossen hat: die informationelle selbstbestimmung.“

... und her mit dem servive! (Abbildungen Wikipedia, Commons)

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Seit seinem Buch „Kontrollverlust“ sägt Michael Seemann an den Grundwerten und am Menschenbild in unserer Gesellschaft. Ein erheblicher Teil dieser „Arbeit“ geschieht mit einem aufklärerischen Impetus, dessen Grundgedanke in etwa lautet: 

„Ihr haltet an einem Freiheits- und Autonomiebegriff fest, der nicht, zumindest schon lange nicht mehr existiert. Und den auch kein Mensch braucht.“

Solange er sich im ersten Teil dieses Gedankens aufhält, könnte man meinen, es ginge ihm darum, die Verhältnisse zu ändern, die Aufklärung hätte zum Ziel, Bewusstsein zu schaffen. Das Gegenteil ist der Fall: Erst im zweiten Teil dieses Gedankens wird das eigentliche Ziel der Seemann‘schen Operation klar. 

Ich bin davon überzeugt, dass diese Haltung einer tiefen Resignation geschuldet ist, einem enttäuschten Idealismus, der, um den Widerspruch auszuhalten, sich schliesslich in sein Gegenteil dreingeschickt hat. If you can‘t beat them, join them. Insofern mir Resignation ein vertrauter Sachverhalt ist, hat Seemann mein Mitgefühl. Weniger Mitgefühl aber empfinde ich, wenn die Resignation in Affirmation umschlägt, und sich Seemann zum argumentativen und legitimatorischen Steigbügelhalter eines Systems andient, dessen finale Mittel und Zwecke er vorsätzlich ausblendet.   

Die Konversion ist allerdings auch ein Ausdruck einer weitreichenden Vorläufigkeit, in der der Konvertit den Widerspruch zwischen seiner ursprünglichen Überzeugung (die ich hier ¡unterstelle!) und der Realität nicht aushält, und, um den Zustand der kognitiven Dissonanz zu vermeiden, das Lager wechselt. Was für sich genommen immer noch wenigstens verständlich wäre und später oft in ein „Einerseits/Andererseits“ einmündet. Leider geht, wie bei fast allen Konvertiten, die Konversion einher mit einer missionierenden Geste (und ich weiss auch hier, wovon ich spreche), gleichsam zum Beweis der Konversion. 

Zitat Seemann: „mit der "informationellen selbstbestimmung" wurde ein zu schützender gegenstand geschaffen, der jetzt quasi anstatt der menschen geschützt wird. weil: wenn es ein grundrecht gibt, muss man es halt schützen. deswegen hat der datenschutz seit jahrzehnten vergessen zu fragen, welche gefahren es für menschen wirklich gibt, wo schaden entsteht und wo die probleme liegen und hat sich stattdessen der erfüllung eines völlig unmöglichen und am ende sinnlosen zustandes verschrieben.“

Allein der Gedanke, dass ein Grundrecht sich vom Subjekt des Rechteinhabers ablöst und nunmehr als Popanz ein Eigenleben führt, das ist schon ein diskussionswürdiger Ansatz. Der übrigens in einem grösseren Zusammenhang steht, denn dieses Schicksal hat nowadays beinahe jede Wertvorstellung erlitten, die, um es mit einem geläufigeren Begriff zu bezeichnen, ritualisiert. Historisch bekannt ist das Phänomen, seit das Volk Israel um das Goldene Kalb tanzte. 

Der real existierende gesellschaftliche Verbrauch eines Wertes oder Begriffes kann aber nicht dafür herhalten, zugleich den inneliegenden Kern des Wertes mit dem Bade auszuschütten. Im Gegenteil ist es der Sinn eines Wertes, als Telos auch dann bestehen zu bleiben, wenn „die Realität“ und alle Umstände dagegen wirken.   

Zitat Seemann: „das ganze dilemma der informationellen selbstbestimmung kristallisiert sich an der ‚informierten einwilligung‘. wenn man fragt, was diese klickorgieren bringen sollen, wen sie vor was schützen kommt man schnell auf den trichter, dass hier nur rituelle akte der gegenseitigen selbstvergewisserung passieren, die niemanden in wirklichkeit vor irgendwas schützen. das einzige, was damit geschützt wird, wenn ich in den ok-button reinlüge, dass ich gelesen und verstanden habe, was da mit meinen daten passiert, ist die fiktion einer kontrolle, die ich gar nicht habe und brauche, aber die mir als grundrecht nun mal vorgeschrieben wurde. die erhaltung dieser fiktion der „informationellen selbstbestimmung“ kann nur unter der kollektiven unehrlichkeit aller akteure gewährleistet werden und diese am leben zu halten, ist die eigentliche aufgabe des datenschutzes.“

Das ist schon eine grossartige Formulierung: „In den OK-Button hineinlügen.“ Respekt. 

Allerdings ein unfertiger Gedanke. Vor wenigen Zeilen noch hat Seemann ein Grundrecht von seinem Inhaber abgelöst, jetzt aber sieht er sich nicht in der Lage, die Funktion eines Formulars von seiner Vorstellungswelt zu trennen. Er mache sich, sagt er, der kollektiven Unehrlichkeit schuldig, wenn er diesen Button drücke. Das, mit Verlaub, ist Unfug. 

Natürlich kritisiert er zu Recht, dass von einer informierten Einwilligung nicht wirklich die Rede sein kann. Nur sollte ihm zugleich klar sein, dass er damit die Ausführung der Idee kritisiert und nicht die Idee selbst. 

Natürlich kritisiert er zu Recht (wenigstens implizit), dass die zunehmende Formalisierung aller Lebensakte stets nur an Schutz oder Sicherheit behauptet, was sie vorgibt zu sein. Die Lösung kann aber nicht darin bestehen, die Gültigkeit von Rechts- oder Schutzansprüchen erst ... im Nachhinein zu klären

(Zitat Seemann: „ich möchte gerne einen button, der sagt: "ich habe nicht gelesen, was ihr mit meinen daten macht oder würde es eh nicht verstehen, weil ich kein data scientist bin und in statistik ne null, aber ich geh mal davon aus, dass ihr meiner mutter schon nicht verratet, dass ich freitags heimlich kiffe, also wird das wohl schon ok sein und jetzt mal genug blabla und her mit dem servive").

Wenn es einer Beschreibung einer selbstverschuldeten Unmündigkeit bedürfte, hier ist sie. Wie tragisch, dass darin auch ein Hilferuf erstickt ist, der das Ertrinken in einer überbordenden Komplexität anzeigte. 

Ich glaube inzwischen, dass das Problem von und das Problem mit Michael Seemann ist, dass er mit einer gewissen Schnoddrigkeit die Dinge, die er kritisiert, einfach nicht zu Ende denkt.

Und immer häufiger habe ich das Gefühl:
das liegt an Berlin.

22-05-2018

Ist schwierig mit Seemann. Immer. Tut mir manchmal auch leid für ihn und um ihn. Denn er hat in vielen Dingen echt was auf dem Kasten.

DESwegen kritisiere ich ihn. Sonst wäre er mir ja wurscht ...